Autsch!

Frankfurt, den 9.11.2019

Wir schreiben das Jahr 2019. Es ist der 9.November. Ein historisches Datum für die Deutschen. Freude, Trauer, Zorn? Das Gedenken an die Reichspogromnacht (9.November 1938)[1]wird nahezu vollständig von besoffen-nationalistischer Feierlaune über die Wiedervereinigung Deutschlands, überlagert. Der Aufwand, der in Berlin für diese Party betrieben wurde, sucht seinesgleichen. Partei übergreifend scheinen die Veranstalter über ihre Inszenierung sehr zufrieden. Die Rede des Bundespräsidenten Steinmeier vom 9.November 2019 am Brandenburger Tor enthält immerhin noch eine Mahnung: „… Auch dafür steht der 9. November. Er steht für den Aufbruch in die erste deutsche Demokratie, für die Ausrufung der Republik vor gut einem Jahrhundert. Aber der 9. November erinnert auch an die Zerstörung dieser ersten Demokratie, an den Absturz in die Barbarei, an brennende Synagogen, an die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Spätestens, allerspätestens nach dem Anschlag von Halle haben hoffentlich alle in diesem Land begriffen: Die Jahre vergehen, die Vergangenheit rückt in die Ferne – ja. Aber das „Nie wieder“, der Kampf gegen Rassenhass und Antisemitismus, diese Verantwortung vergeht nicht!“, aber im Vordergrund steht dann doch, Let’s dance.

Amtliches Ergebnis, BundeswahlleiterErstmals seit Jahrzehnten stabilisiert und etabliert sich in Deutschland eine Partei mit etwa 25-30% Wähler*innen, deren Wortführer*innen das Erbe des 1945 zerstörten Naziregimes antreten und große Teile dieser Verbrecherideologie reanimieren möchten. (Hinweis: NZZ Markus Linden „Des Teufels Generäle …) Die Strategie des konservativen Deutschland, Nazis in ihren Reihen ruhig zu stellen und an die demokratischen Spielregeln „zu gewöhnen“, sie zu „integrieren“, scheint vollends gescheitert. „Rechts von CDU/CSU gibt es nichts als die Wand“ – es ist eine eigene Untersuchung wert, ob diese Strategie je tauglich und der Demokratie dienlich war. Leute, die das Ende der NS-Diktatur immer schon für eine Niederlage und nicht für eine Befreiung gehalten haben, haben in den letzten Jahren die CDU/CSU und andere Parteien in Scharen verlassen. Leute, die „Deutschland“ längst „aufgegeben“ hatten und sich, nicht wählend, frustriert zurückgezogen hatten, wittern nun Morgenluft. Endlich, so ihr Schluss, gibt es wieder eine „ehrliche“ Nazipartei, die „man“ wählen kann.

Denke ich an meine frühe Jugend und damit einhergehende Politisierung, wurde praktisch jede Generation (also alle 20 Jahre) mit fortgesetztem und verschärftem „Hitler“ Wahn traktiert. Meine Generation zum Beispiel, wurde mit dem geistigen Müll von „Landser“ Heften geflutet. Als mein Eltern diesen Dreck bei mir entdeckten, haben sie, was ich ihnen hoch anrechne, das ja berechtigte Interesse an dieser Zeit, mit aufklärender, trotzdem spannender Literatur gedeckt.

Auch wenn die Methoden und Argumentationsmuster von Nazis und ihren „Historikern“ dem jeweiligen Forschungsstand angepasst werden, sie ähneln sich ausreichend, um das Ansinnen, Nazi-Müll zu verbreiten, erkennen zu können. In den 50iger-/60iger Jahren wurden Kampagnen um „Freiheit für Rudolf Hess“ und andere Naziverbrecher organisiert, einher gingen „davon haben wir nichts gewusst, der Führer schon gar nicht“ Kampagnen. Für andere Zielgruppen, wurde parallel die Psycho-Dämonisierung des quasi allein schuldigen „Führers“ als eine Variante verbreitet. 1981 der Film „Das Boot“, eine wieder Auflage des Märchens vom „armen Landser im sinnlosen Krieg“. Das lag deutlich neben der Wahrheit. Die Angehörigen der U-Bootwaffe im NS wurden als Elite und besondere Helden gefeiert. Dementsprechend fühlten sie sich und dementsprechend traten sie auch auf. Dann 1986/1987, der sogenannte Historikerstreit. Der folgte auf eine vollkommene Blamage, 1983. Hitler for ever, die „Stern“ Entdeckung einer ganzen Serie von „Hitlertagebüchern“. Die Stern-Chefetage, völlig verzückt und enthusiasmiert, meinte, jetzt „muss die Geschichte des Dritten Reich umgeschrieben werden“. Am Ende stellten sich die Hitlertagebücher als recht plumpe Fälschung eines NS-Devotionalienhändlers und Fälschers heraus, für die der „Stern“ über 9 Millionen D-Mark bezahlt hat (lt. Erich Kuby, Der Fall `Stern´ und die Folgen, Konkret Literaturverlag 1983). Wahrscheinlich lebten von dem Geld zahlreiche Nazis und finanzierten sich und ihre Schundblätter. In den 2000er Jahren kamen einerseits mehr oder weniger gelungene „Hitler“-Satiren auf den Markt (z.B. „Er ist wieder da“), andererseits reihenweise, technisch gut gemachter kultureller TV-Schund, der dem geplagten „Führer“ bis in die hintersten Darmwindungen folgt, Mitleid heischend, natürlich. Solche Schmonzetten der Hitler-Menschelei und Psycho-Rechtfertigungen (war der „Führer“ krank, drogensüchtig etc.) waren stets Bestandteil der fragmentarischen Rehabilitierung des Nazismus.  Diverse lokale rechtsextreme Parteien feierten Erfolge (z.B. Schill-Partei 2000 bis 2007).
Es scheint, als würde die Hilflosigkeit der parlamentarischen Demokraten mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand zur Befreiung vom zwölf Jahre währenden „1.000-Jährigen Reich“ und von Generation zu Generation, größer.

Frechheit siegt?
1961 Franz Josef Strauß lancierte einen – allem Anschein nach recht erfolgreichen – Angriff gegen Willy Brandt, der in der Hitlerzeit nach Norwegen emigriert war, in Form folgender rhetorischer Frage: „’Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.‘ Soviel ich weiß, hat niemand dem Minister damals entgegengehalten, dass es mittlerweile doch wohl aktenkundig geworden ist, was Deutsche in Deutschland in jenen zwölf Jahren getan haben. Die gleiche Ahnungslosigkeit findet sich in einer Bemerkung, die ein angesehener deutscher Literaturkritiker, der wahrscheinlich niemals Mitglied der NSDAP gewesen ist, vor einiger Zeit ganz en passant in einer Buchkritik gemacht hat – er erwähnte da, dass der Autor einer Studie über die Literatur im Dritten Reich haargenau (den) Slang jener Literaten (gebrauche), die uns beim Einbruch der Barbarei ausnahmslos im Stich ließen‘. Der besprochene Autor war natürlich ein Jude, der niemanden ‚im Stich gelassen‘ hatte, sondern vertrieben worden war; im Stich gelassen hatten ihn vermutlich seine nichtjüdischen Freunde.“ (Alfred Kantorowicz, Politik und Literatur im Exil, S. 145).

Während ich ganz bei Kantorowicz bin, soweit es den nicht genannten Literaturkritiker betrifft. Dem Text folgend, vermute ich, dass dieser zu jung war, um ein organisierter Nazi gewesen sein zu können. Hingegen scheint mir die Beschreibung des Franz J. Strauß, immerhin seinerzeit Verteidigungsminister und Weltkriegsteilnehmer, als „ahnungslos“, doch stark verharmlosend. Da mussten er und sein Anhang in CSU und CDU gewiss keine Akten studieren. „Von September 1941 bis Februar 1942 wurde er zum Offizier ausgebildet, im März 1942 als Leutnant d. R. der Heeresflak zugeteilt und in der Ukraine, auf der Krim sowie vor Stalingrad eingesetzt. Dort erlitt er Erfrierungen an beiden Füßen, weshalb er noch vor dem Untergang der 6. Armee in der Schlacht von Stalingrad ins Reich zurückverlegt wurde. Nach einem weiteren Lehrgang von Januar bis Mai 1943 in Stolpmünde wurde er Ausbildungsoffizier, Abteilungsadjutant und Offizier für wehrgeistige Führung bei der Flakartillerieschule Altenstadt bei Schongau.“ (Wikipedia Eintrag zu Strauß).

Während also die einen Not und Verfolgung, Tod, schwerste gesundheitliche Schäden und KZ als Folge des Widerstandes gegen das NS-Regime erfuhren, oder einfach deshalb massakriert worden waren, weil sie nicht dem „deutschen Rasseideal“ entsprachen, oder Glaubensrichtungen angehörten, die den Nazis nicht passten, oder gar als hilfsbedürftige Menschen für „Lebensunwert“ erklärt worden waren, erlaubten die anderen sich kaum 15 Jahre später Unverschämtheiten, für die der Strauß’sche Ausfall ja wirklich nur die Spitze des Eisberges war. Erstaunlich, dass man schon damals daran erinnern musste, dass es ein Unterschied war, an der Seite der Nazis an einem verbrecherischen „Rassen“-Krieg Teil zunehmen oder Opfer dieser teutonischen Horde gewesen zu sein. 1975 platzte es aus Wehner heraus. Ständigen Frechheiten von Rechtspopulisten und offenen Faschisten ausgesetzt, wüsteste Drohungen im Zuge der Sonthofener Strategie-Rede[2] von F.J. Strauß vor der CSU – Landesgruppe im November `74, brachten das Fass zum Überlaufen.

Strauß: „Und wenn wir hinkommen und räumen so auf, dass bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner es mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen. Selbst wenn wir es nicht ganz halten können. Aber den Eindruck müssen wir verkörpern.“ (Zitiert nach Helmuth Schmidt, 10830, Bundestag, 7. Wahlperiode, 155. Sitzung, Bonn 13.3.1975). Strauß hatte die Regierungsparteien SPD/FDP, sowie die Anwälte der RAF-Häftlinge kurzerhand zu Unterstützern des RAF – Terrorismus erklärt.

Wehners Antwort lies nicht auf sich warten. „Jedenfalls keinen Bart, wie Sie ihn haben. — Wenn Sie das Wort „Marxist“ hören, geht es Ihnen so, wie Goebbels damit operiert hat, nicht anders. Sie sind nämlich in dieser Frage genauso dumm, wie es jener war. Nur war er ganz jesuitisch raffiniert.“, (ebd. S. 10838).

Nicht die Drohung von Strauß war der Skandal, die Rechte des Landes skandalisierte den Goebbels-Vergleich. Der war, wenn man sich einmal in die Strauß-Reden der Zeit vertieft, durchaus angebracht. Heute wird das ja leider viel zu oft, ganz unpolitisch, im Sinne des „Unterhaltungswertes“ diskutiert. In seiner bewegten und bewegenden Rede gibt es eine sehr persönliche Sequenz von Herbert Wehner: „Wer einmal Kommunist war, den verfolgt Ihre gesittete Gesellschaft bis zum Lebensende, und wenn es geht, lässt sie ihn auch noch durch Terroristen umbringen.“, (einen Eindruck vermittelt die ZDF-Info Doku „Strauß gegen Wehner“ aus dem Jahr 2016).[3]

Vom Rechts-Liberalismus der frühen Jahre
Unabhängig vom Einfluss des heraufziehenden „Kalten Krieges“ und einer Blockkonfrontation, welche das politische Leben der künftigen Jahrzehnte von 1946 an bestimmen sollte, finden sich frühe Spuren eines nicht unerheblichen, gesellschaftlichen Rechts-Liberalismus. Im Westen („Demokratie“), wie im Osten („kommunistische Diktatur“), hatte es das politische Establishment, das sich nach dem kompletten Zusammenbruch des NS-Regime neu orientieren musste, ausgesprochen eilig, mit den Verursacher- und Träger*innen des Verbrecherregimes klar zu kommen, diese zu „integrieren“. Der SED – Parteivorstand von 1949: „Der Parteivorstand der SED hält es daher für zweckmäßig, die völlige rechtliche Gleichstellung der früheren Mitglieder der Nazipartei durchzuführen, mit Ausnahme derjenigen, die eine gerichtliche Strafe verbüßen. Der Parteivorstand macht darum den deutschen Staatsorganen den Vorschlag:

  1. eine allgemeine Amnestie für die ehemaligen Mitglieder der NSDAP durchzuführen mit Ausnahme derjenigen, die eine gerichtliche Strafe verbüßen; den ehemaligen Mitgliedern der NSDAP das Recht zu geben, entsprechend ihrer beruflichen Eignung in allen Betrieben, Behörden und Organisationen zu arbeiten, mit Ausnahme der Verwaltung des Innern, der Polizei und Justiz.
  2. Des Weiteren hält es der Parteivorstand für geboten, die ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht, darunter Offiziere und Generale, mit Ausnahme derjenigen, die eine gerichtliche Strafe verbüßen, in ihren bürgerlichen Rechten mit den übrigen Bürgern gleichzustellen und ihnen das Recht zu geben, in ihren Zivilberufen tätig zu sein, mit Ausnahme der Verwaltung des Innern, der Polizei und Justiz.

Diese Maßnahmen sind jetzt möglich und notwendig in Anbetracht der in vier Jahren vorgenommenen Veränderungen und der Festigung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung in der Zone.“

Und die KPD (Westzone) sekundierte 1951 auf dem Parteitag, München, 5.März 1951: „Es ist durchaus möglich und notwendig, mit den ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie mit solchen ehemaligen Berufsoffizieren der deutschen Wehrmacht eine Einheitsfront und den gemeinsamen Kampf um den Frieden zu organisieren, die, getragen von patriotischen Gefühlen, heute gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands und gegen die Hineinziehung Deutschlands in einen neuen Weltkrieg auftreten. Die Bürgerrechte und Interessen der ehemaligen kleinen Nazis, die bis jetzt noch den Verfolgungen vonseiten der Entnazifizierungskommissionen und ähnlicher Organe ausgesetzt sind, sind zu verteidigen, während zu gleichen Zeit solche großen Kriegsverbrecher der Vergangenheit und Gegenwart wie Guderian, Heusinger, Speidel u.a. von der Verbüßung der Strafe befreit und sogar auf leitende Posten gestellt werden.“, (Antifaschismus, Ein Lesebuch, Peter Brandt, Ulrich Schulze-Marmeling, LitPol Verlag 1985).

Schon 1946 unterschied die SPD (Westzone) zwischen „Verantwortlichen“ für die Verbrechen und sogenannten Mitläufern: „Einmütig nahm der Parteitag eine Entschließung an, in der es kritisiert wurde, dass nicht sofort nach dem Zusammenbruch eine umfassende Fahndung nach allen Schuldigen einsetzte. Die zögernde Durchführung der Entnazifizierung hat die notwendige beschleunigte Selbstreinigung leider verhindert und habe tiefes Misstrauen im deutschen Volke entstehen lassen. Darum wurden sofortige Maßnahmen verlangt, die zur Aufspürung aller derer führen, die Deutschland die Verachtung der ganzen Welt eingetragen haben, der Mörder der SS und SA, der Peiniger in den KZ-Lagern, der Richter, die auf Befehl urteilten, und der Vollstrecker der Todesurteile. Wer aktiv an verantwortlicher Stelle fuer den Nationalsozialismus tätig war, soll getroffen werden, gleichgültig, ob er Mitglied der Partei war oder nicht. Geschlossene Nazisiedlungen sind endlich aufzulösen. Wer von den Aktiven noch immer besser wohnt als die Opfer des Nationalsozialismus, soll endlich seine Wohnung räumen. Kein Nazi ist unersetzlich. Die Mitläufer aber sollen Gelegenheit erhalten, ihre Mitschuld durch Teilnahme am Neubau Deutschlands zu sühnen. Sie sollen zerstörte Städte wieder aufbauen und sollen sich freiwillig an jeder sozialen Arbeit beteiligen.“, (Reichsparteitag der SPD, Hannover 8.-11.Mai 1946).
Das konservative Lager hatten es naturgemäß sehr eilig, schnell einen „Schlussstrich“ zu ziehen. Adenauers CDU/CSU wurde zum Hauptsammelbecken für den politischen NS-Trümmerhaufen, die FDP wurde in den ersten Jahren regelrecht unterwandert.[4]

Das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5.März 1946 sah die Entnazifizierung in großem Umfang vor. In Artikel 4 wurden Standards zur Beurteilung der Verantwortlichkeit im NS Regime definiert, die zu entsprechend angepassten Sühne- und Strafmaßnahmen führen sollten. Die Einteilung der Gruppen sah 1. Hauptangeklagte, 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer), 3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe), 4. Mitläufer und 5. Entlastete vor.

In den Westzonen stellten die Behörden die Entnazifizierung Ende Februar 1950 (französisch und britisch) ein, in der US-Zone bereits etwas früher, im August 1949. In den Westzonen durchliefen den Entnazifizierungsprozess mehr als 6 Millionen Deutsche. 1.667 (in Worten gerade einmal eintausend sechshundert siebenundsechzig) Personen wurden als Hauptschuldige, 23.000 als Belastete, 150.425 als Minderbelastete, 1.005.854 als Mitläufer eingestuft, von denen wiederum ca. ein Viertel ohne jedwede Sühnemaßnahme davon kam und 1.213.873 Millionen der untersuchten Fälle wurde als entlastet bewertet. In ungefähr 4 Millionen Fällen kam es aus unterschiedlichen Gründen generell zu Amnestien (jüngere Jahrgänge, Heimkehrer).

Diese verdächtig geringen Zahlen der Einstufungsgruppen 1 und 2 für sich genommen, lassen durchaus die Annahme zu, dass selbst hart gesottene Ober-Nazis wahrlich nicht gerade vor Angst zittern mussten. Dies wird sich in der Folge bestätigen. Unter dem Stichwort „Persilschein“ florierte ein reger Austausch mit „Entlastungszeugen“.  Die Philosophin Bettina Stangneth weist in ihrer 2014 veröffentlichten Untersuchung, Eichmann vor Jerusalem, Das unbehelligte Leben eines Massenmörder, rororo Verlag, nach, dass selbst ein zu seiner Zeit im NS öffentlich allgemein bekannter und Prominenter, wie der Massenmörder Adolf Eichmann, jahrelang, sich nur spärlich tarnend, unbehelligt in Deutschland aufhalten konnte. Später, nach seiner Flucht nach Argentinien, Fritz Bauer, der berühmte Frankfurter Oberstaatsanwalt, war ihm auf den Fersen, bekam Eichmann von der deutschen Botschaft auf seinen Klarnamen Personaldokumente ausgestellt. Die Botschaft trug wissentlich nicht zur Aufklärung des Aufenthaltsortes des international gesuchten Adolf Eichmann bei.[5]

Der Historiker und Hochschullehrer Lutz Niethammer bewertete die Entnazifizierung 1972: „Die zeitweilige Ausschaltung der Masse der bürgerlichen Mittelschichten, die auf ihre Rehabilitation durch die Spruchkammern wartete, hat in den ersten drei Jahren der Besatzungszeit viele Sozialdemokraten und andere Progressive zu einer Euphorie über die Möglichkeiten einer größeren Reform verführt und ihnen eine zunächst beherrschende Stellung in der Öffentlichkeit gegeben. Als die Ausnahmesituation des Zusammenbruchs, deren schlechte materielle Bedingungen zunächst pragmatischen Wiederaufbau und die Vertagung der Reform nahelegten, jedoch einer uniformierten Normalisierung der Lebensbedingungen und den Anfängen eines neuen wirtschaftlichen Aufschwungs zu weichen begann, kehrten auch die Entnazifizierten mit dem Mitläuferbescheid in der Tasche in ihre Positionen zurück, in denen sie nie wirklich ersetzt worden waren, und glaubten, ihnen sei Unrecht geschehen und ohne sie herrsche Chaos. Wenn Progressive dies als Restauration verstanden, so verkannten sie, dass die Dispositionsfreiheit der sogenannten Stunde Null vor allem eine der Besatzungsmächte gewesen war.“, (siehe Antifaschismus …, Brandt, Schulze-Marmeling).

Ja. Die „Stunde Null“. Die wurde zügig und umfassend genutzt, einer weit über die 6 Millionen Entnazifizierungsfälle von den Spruchkammern Überprüften hinausgehende Zahl Deutscher, einen Freispruch „erster Klasse“ zu verschaffen. Aus „Tätern*innen“ wurden „Mitläufer*innen“ und „Entlastete“. Die verlogene Praxis der Täter-Opfer-Umkehr beherrschte das NS-Regime wahrhaft meisterhaft. Die Lügenpraxis des NS in der Nachkriegs-Öffentlichkeitsarbeit verinnerlicht, fand diese Praxis unmittelbar weitere Verwendung: „Vertreibung aus der Heimat“, „Kriegsgefangene heimholen“, „die verlorenen Ostgebiete“ und die „kommunistischen“ Massenvergewaltigungen[6], die „Alliierten Kriegsverbrechen“, wie die Massenbombardierung deutscher Städte, ergaben eine Erzählung, die systematisch zum geschlossenen, völkischen Opfermythos[7] ausgebaut wurde. Dahinter verschwanden ganz und gar die deutschen Taten. „Vogelschiss der Geschichte“, so tönt analog der Nazi des 21. Jahrhunderts. Diese Deutschen wollten und wollen es einfach nicht verstehen, es ist ihnen ins Stammbuch zu schreiben: Sowas kommt von sowas![8]

Wir dürfen nicht müde werden, Demut und auch Dankbarkeit der Deutschen einzufordern:
Hätten die Alliierten auch nur einen geringen Teil der völkermörderischen Methoden angewendet, wie sie die Deutschen in ihrer Mehrheit gut geheißen und gebilligt haben, gäbe es ein deutsches Volk nicht mehr.[9] Die Alliierten haben die von den Deutschen tyrannisierten, terrorisierten und versklavten Völker befreit, aber auch die Deutschen von ihrem mörderischen Amoklauf. Die deutsche Gesellschaft fantasierte davon, die Barbarei auf 1.000 Jahre auszudehnen. Sie konnte daran nur mit äußersten, militärischen Mitteln gehindert werden. Eine deutsche Gesellschaft, die es zulässt, dass in allen Bundesländern Nazis mit einem Stimmenanteil von bis zu 25% der abgegebenen Stimmen gewählt werden, muss sich die Frage gefallen lassen, was sie unternehmen wird, diese Leute zu stoppen, bevor „sowas erneut zu sowas führt …“.

Zum Geburtsfehler der zweiten deutschen Republik gehört auch, dass Nazi-Gegner sich an diesem „Geschäft“ des schnellen „Vergessens“ in der Praxis und mit fatalen Konsequenzen beteiligten. Viel zu schnell wollte „man von all dem nichts mehr hören“, eben auch auf der „Linken“. Der Zerfall der KPD des Nachkriegsdeutschland setzte schon vor dem eigentlichen KPD Verbot[10] ein. Zyniker könnten auf den Gedanken kommen, ihr schnelles Ende habe sie vor schlimmeren national-patriotischen Verirrungen bewahrt. Bei der SPD hingegen feierten diese fröhliche Urständ‘. Der „Kampf gegen den Kommunismus“ wurde nun fester Bestandteil. Patriotisches Engagement für die Wiedervereinigung des „armen geteilten Vaterlandes“ nahm sehr breiten Raum ein und wurde gewiss mit mehr Energie betrieben als die Entnazifizierung. Adenauers[11] erfolgreicher Kampf für die Entlassung der Kriegsgefangenen war sein Wahlkampfschlager, die Verfolgung der NS-Verbrecher lief eher schleppend. Die Leiden der Opfer, Buße und Sühne? Den Diskurs wollte man lieber schnell beenden und sich stattdessen dem „Wirtschaftswunder“ hingeben. Es hat der SPD[12] nichts genutzt, sich dem reaktionären „Zeitgeist“ als die bessere patriotische Partei anzudienen.
Die 68’er, überwiegend jung, studentisch, verlangten Antworten zur NS-Zeit, sie ließen es nicht auf sich beruhen, dass sich in Politik, Ämtern und Verwaltungen, in den Landtagen und im Bundestag Altnazis zu Hauf tummelten. Sie setzen Antworten durch. So mancher Altnazi in Amt und Würden musste seinen „Hut“ nehmen. Die kulturelle Wende manifestierte sich mit der Wahl des Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD): Mehr Demokratie wagen![13]

Wie erkennen wir Nazis?
Rudi Dutschke, 7.März 1940-24.Dezember 1979Es ist schon interessant. Angesichts der Wahlerfolge von Nazis, scheint das komplette regierende politische Establishment ausgesprochen „überrascht“. Jedes Nazi-Ereignis löst eine Welle von hektischen Aktivitäten aus. Man zeigt sich „bestürzt, besorgt, empört“. Kurz darauf verfällt das Regierungspersonal wieder in den Alltagstrott. Die „vierte Gewalt“ (also die Presse), ist da auch nicht wirklich besser und lässt es an Kontinuität fehlen, wenn es um die Nachlese geht. Die Reaktionen bleiben meist auf der Ebene der kurzzeitigen Gemütswallungen. Es ist noch nicht klar, ob nun, nach dem Nazi-Mord an dem hessischen Politiker Lübcke, nach Halle und nach dem Auftauchen von Todeslisten gegen Politiker*innen, nachhaltig der zur Verfügung stehende Apparat an Repressalien verwendet wird, Initiativen zur Vorbeugung gegen den Nazi-Spuk und entsprechende Aussteigerprogramme, endlich gestärkt werden, wie das angemessen und eigentlich zu erwarten wäre.

Für das merkwürdige Verhalten Regierender ein Beispiel aus jüngster Zeit: Der Herr Scholz (SPD, Finanzminister), einigt sich mit der Dame Giffey (SPD, Familienministerin) zunächst darauf, die Mittel für Aufklärungsarbeit gegen RECHTS zu streichen. Nach massiven Protesten werden die Mittel nicht gestrichen und auch nicht gekürzt. Sie werden weiterhin befristet auf ein Jahr in der Höhe des zurück liegenden Jahres bewilligt. Planungssicherheit im Kampf gegen Naziumtriebe und Jugendgefährdung stellt sich dadurch nicht ein. Das Damoklesschwert der Mittelstreichung bedroht das gesellschaftliche Engagement und die vielen Initiativen und Organisationen alljährlich. Das ist ein Skandal. Ein Sozialdemokratischer noch dazu.

Nach Halle (Anschlag auf die, während Jom Kippur, gut besuchte Synagoge im Oktober 2019) hieß es wieder mal (!), man habe „… die Rechte Gefahr unterbewertet …“, Steinmeier (SPD, Bundespräsident) zeigte sich „entsetzt“ und tat überrascht – wo hat der Genosse die letzten vier Jahrzehnte gelebt, frage ich mich? – und Maas, (SPD, amtierender Außenminister) verlautbarte, „… wir sind mitten ins Herz getroffen …“, was will er uns damit sagen? Nach einem Treffer ins Herz ist man üblicherweise mausetot. Merkel (Bundeskanzlerin, CDU), macht sich rar aber der Seehofer Horst (Innenminister, CSU), mutiert gerade zum radikalen Antifaschisten. Hätte er nicht die geballte Staatsmacht zu dirigieren, ja dann, dann würde er wohl der Antifa beitreten … (Ironie off).

Es scheint so, als fiele den Verantwortlichen die Identifizierung der seit Jahrzehnten kontinuierenden, alltäglichen braunen Gemütslage in der Gesellschaft, sehr schwer. Dabei braucht es gar keinen allzu tiefen Blick in die Geschichte, um diese zu verstehen:

  1. Ich habe ja nichts gegen Juden (wahlweise andere Glaubens- oder politische Richtungen), aber … (hier dann ein beliebiges Klischee einsetzen), gefolgt von, „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Manchmal beginnt so ein Gespräch auch so: „Ich bin doch kein Rassist …, und habe nichts gegen … (beliebiger Nachbar, der von dem/der Sprecher*in für „Nicht Deutsch“ gehalten wird, was an der Nase, der Haarfarbe oder den Plattfüßen liegen kann)“ und so weiter.
    Rechtsliberale Zeitgenossen bescheinigen solchen sogenannten Wutbürger*innen einen Anspruch auf Verständnis und „hören den Bürger*innen aufmerksam zu“, obwohl geharnischter Widerspruch von Nöten wäre. Solche „Befindlichkeiten“ begleiten ausländerfeindliche Wellen in regelmäßigen Zyklen. Waren es die sogenannten Gastarbeiter, folgte die „gelbe Gefahr“ und seit drei Jahrzehnten (!) sind die „Asylanten“ und „Flüchtlinge“ bevorzugtes Hassobjekt des deutschen Spießers und Ziel des braunen Sumpfes. Die Zeitrechnung der Frau Merkel hinkt stark hinterher. Der Nazi-Sumpf hatte schlimmste Gewalt-Ausbrüche gegen diese Menschen bereits Ende der 1980iger Jahre (Hoyerswerda-Pogrom, Rostock-Pogrom, die Morde von Solingen und Lübeck, die „NSU“-Morde, um die bekanntesten Nazi-Anschläge zu nennen). [14]
  2. Selbst nach offensichtlichen Naziterroranschlägen wird zunächst in Zweifel gezogen, ob das überhaupt ein Nazi-Anschlag war. Wenn dann ein Täter (meist sind es junge Männer) aufgegriffen wird, wird in der Regel die/der Nachbar*in des Täters befragt und die/der kann sich „gar nicht vorstellen, dass dieser nette junge/ältere (oder was auch immer), ruhige Mensch, ein Nazi-Mörder gewesen sein soll, der/die doch nicht! Unvorstellbar!“ Außerdem sind das alles bevorzugt Täter die allein und aus dem „Nichts“ gehandelt haben sollen (wenn man den Ermittlungsbehörden Glauben schenkt). Dieser vollkommen absurde Erklärungsprozess wird penetrant bei grundsätzlich jedem Nazi-Anschlag präsentiert. Man muss schon sehr gutwillig sein, darin kein System zu vermuten. Dieses Muster des „netten Nazi von Nebenan“, wird in der Öffentlichkeit auch bemüht, wenn, wie im Hessischen Altenstadt, ein bekennender Nazi zum Ortsvorsteher gewählt wird.[15] Tage- wenn nicht wochenlang betonten irgendwelche Dorfbewohner, was das für ein „netter“ Nazi sei, und „man könne doch die ganze Aufregung gar nicht verstehen“.
  3. Dann gibt es die Leute, die zur deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 meinen, die sei ein „Vogelschiss“ der Geschichte, und sich auf Nachfragen und Kritik, auch nicht davon abbringen lassen, sondern im Gegenteil, diese steile These wortreich unterfüttern. Kombiniert wird diese „Argumentation“ mit verweisen, was „andere Völker“ und „Nationen“ alles verbrochen haben. Man möchte meinen, solche Plattheiten würden sich mit der Zeit abnützen. Leider, mit Nichten. Funktioniert in geschichtlich wenig bewanderten und uninformierten, bequemen, um nicht zu sagen, denkfaulen, Kreisen, ungebrochen.
  4. Und dann gibt es da so einen gewissen Björn H. (man darf, ja man muss ihn Faschist nennen), der sich nur geringe Mühe gibt, die Altnazi-Bibel „Mein Kampf“ eines gewissen Adolf H. umzuformulieren, die möglicherweise, kritische Presse zu seinem Machwerk wird vorbeugend mit dem Nazi-Begriff der „Journaille“ belegt. In einem „zukunftweisenden“ Traktat, seinem großen Vorbild folgend, legt er dar, dass „wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind „mitzumachen.“ Er denke an einen „Aderlass“. Diejenigen Deutschen, die seinen politischen Zielen nicht zustimmten, würden aus seinem Deutschland ausgeschlossen werden. Er trete für die Reinigung Deutschlands ein. Mit „starkem Besen“ sollten eine „feste Hand“ und ein „Zuchtmeister“ den „Saustall ausmisten.“, wie Hajo Funke in einem Gastbeitrag in der Zeit vom 24.10.19 zitiert. Der Zuchtmeister heißt dann halt nicht mehr A.H., sondern ist sozusagen die „B“ Variante.

In meinen Ohren klingen diese Varianten sehr vertraut. Sie sind die modernisierte Spielart des sattsam bekannten und unsäglichen Umgangs mit der deutschen Nazivergangenheit. Der Übersichtlichkeit halber also eine weiter Aufzählung, wie sie mich seit frühester Jugend begleitet:

  1. Es war ja nicht alles schlecht in der Hitlerzeit. Der Führer (nicht ironisch!) hat die Arbeitslosigkeit beseitigt, die Autobahnen gebaut und die Kriminalität beseitigt.[16] Mein Nachbar der „Sowieso“ war zwar in der SS aber doch wirklich freundlich und kinderlieb – noch lieber war er zu seinen deutschen Schäferhunden. Wie der Führer. Wenn nur „das mit den Juden“ nicht gewesen wäre. Ergänzend wird der verherrlichte „Führer“ im Bedarfsfalle von allem Übel freigesprochen: „Wenn das der Führer gewusst hätte …“.
  2. Hitler war wahnsinnig, der war nicht zurechnungsfähig und an allem schuld. Wie? das kann er doch nicht allein gewesen sein? Na klar. Da gab es noch so eine Handvoll Nazi-Kumpane. Die haben alle anderen unterdrückt und zu den Verbrechen gezwungen. Aber wir doch nicht, „das Volk“ … Wir wussten von nichts und hatten mit alle dem auch nichts zu tun. Und – es war ja lebensgefährlich. Man konnte nichts hören, sagen, gar machen. Der Abbruch des Gesprächs mit solchen Leuten, oft die Eltern, Großeltern, oder andere Verwandte und ältere Freunde der Familie, folgte meist auf dem Fuße und wütend: „Was weißt du denn, du kannst doch gar nicht mitreden, du bist ja noch feucht hinter den Ohren!“. Wir jüngeren stießen irgendwann auf, in Ehren gehaltene, Fotos unserer Vorfahren, wenigstens einmal wöchentlich entstaubt, in so Wehrmachts- oder SS-Uniformen, was natürlich mit wachsender geistiger Reife, Fragen provozierte.
  3. Holocaust? Gab es nicht! Gasöfen? Massenmorde? Nein! Es war eben Krieg. Wo gehobelt wird, fallen Späne, aber Kriegsverbrechen? Nein! Wir doch nicht. Also ja. Die barbarischen Hunnen aus dem Osten. Da sind schon Kriegsverbrechen überliefert, aber doch nicht von unserer heldenhaft kämpfenden Wehrmacht! SS-Mordkommandos? Was sollten wir machen. Das ging gegen Partisanen. Das waren alles Ehrenmänner, die deutschen Soldaten. Es gibt nur ein Problem: Schade, dass wir den Krieg verloren haben. Und es plärrte uns entgegen: ihr langhaarigen Gammler – geht doch Rüber. Das war noch die harmlosere Variante aus dem Munde der gleichen Leute. Gemeint war, man sähe uns lieber in der DDR. Oft wurde aber auch gleich gedroht: mit dem Führer wäre das nicht passiert, ihr gehört in die Gaskammer. Ich empfehle alte Dokus aus dem Wirtschaftswunderland, da wird dem Volk gelegentlich aufs Maul g’schaut.
    Welch ein Skandalgeschrei des national-völkischen Spießertums löste es aus, als das Hamburger Institut für Sozialforschung 1993 mit der „Wehrmachtsausstellung“ unsereAusstellung „Helden besudelte“ und deren grausamste Kriegsverbrechen öffentlich dokumentierte! Der Skandal bestand für Teile des Bürgertums nicht darin, dass eine solche Ausstellung im ausgehenden 20. Jahrhundert noch Anlass war, „Deutschland zu spalten“. Offensichtlich hatten die Konservativen (die Altnazis sowieso) sich mit der Geschichtsklitterung gut eingerichtet. Verbrechen, die bis dahin erfolgreich geleugnet worden waren, die offensive „Heldenverehrung“ der angeblich „sauberen und heldenhaften Wehrmacht“, brach angesichts der veröffentlichten Fakten in sich zusammen. Auch wenn zahlreiche Umbenennungen vorgenommen wurden, die Benennung von Bundeswehrkasernen und Straßen nach „Helden“ des Nazi-Krieges, der in zahllosen Gemeinden immer noch vorhandene Gedenkkitsch und Pseudopatriotismus für „unsere Helden aus zwei Weltkriegen“ in der Bundesrepublik, war ja nur der öffentliche Ausdruck dieser konservativen „Traditionspflege“.[17] Die Ausstellung wurde, gewohnheitsmäßig und beispielhaft für das Nazi-Verständnis von „Meinungsfreiheit“, Opfer mehrfacher, gewalttätiger Übergriffe.
  4. Und last but not least, der „ehrliche“. Nazi. Der fand das alles genau richtig und hielt sich an Hitlers Weisungen bis zum Ende. Selbst als klar war, dass das NS Regime in wenigen Tagen, im Mai 1945, vom Erdboden getilgt sein würde, schickten diese Fanatiker noch Kinder und Greise in den Tod und nannten das „Volkssturm“. Holocaust? Musste sein! Das jüdisch-bolschewistische Ungeziefer kriegt man anders ja nicht weg. Welteroberung? An deutschem Wesen soll die Welt genesen! Und Versklavung der ganzen Welt? Na selbstverständlich! Dem Herrenmenschen was dem Herrenmenschen zusteht. Dumm ist nur, dass „wir“ den Krieg verloren haben, aber was soll’s. „Mach’s noch einmal, deutscher Michel“. Man muss sich das vorstellen. Da waren Massen unter Waffen, aber diese gegen dieses Nazi-Gesindel zu wenden und das Morden zu beenden. Auf die Idee kam der Überlieferung nach, keiner… Ausnahmen bestätigen die Regel.

Und nach der Befreiung von diesen Verbrechern – großer Jammer. Bei den Nazis sowieso, aber eben auch bei großen Teilen des konservativen Bürgertums. „Wir“ waren alle Opfer. Plötzlich waren „alle“ irgendwie „im Widerstand“[18] …, sekundiert wird dieses Muster von regelmäßig und über die Jahre immer perfekter inszeniertem medialem Hitler-Spektakel wie „Der Untergang“[19]. Äußerst seltene, wenn auch wirklich großartige Zeichen von Resten an humanitärer Gesinnung in Nazideutschland, wurden und werden missbraucht (zum Beispiel der Film „Schindlers Liste“), um diese Gesellschaft zu entschulden, deren Niedertracht und Gemeinheit zwischen 1933 und 1945, nirgends überboten wird.

Verheerende Weltkriege verursacht – aber, Deutschland ist Opfer?
Mein Urgroßvater, Cajetan Freund (1873 bis 1962), Journalist, deutsch-national, konservativ, schrieb 1947 in einem von ihm der Nachwelt hinterlassenen Text für ein Buch:

„Man hat eine Kollektivschuld des deutschen Volkes für den letzten Krieg und alles, was in ihm geschehen, konstruieren wollen, indem man die Kriegsverbrechertheorie auf ein ganzes Volk anzuwenden versuchte. Welchem Zweck das dienen sollte, ist klar: Man hoffte damit das deutsche Volk ein für alle Mal in der ganzen Welt so in Grund und Boden diskreditieren zu können, dass ihm dadurch jede Möglichkeit, jemals wieder zu irgendwelcher politischen Macht und entsprechender Bedeutung zu gelangen, abgeschnitten würde. Das ist, nüchtern gesehen, auf der Gegenseite auch schon der wahre und letzte Zweck des ja auch von ihr gewollten und (allerdings erst für einen späteren Zeitpunkt) beabsichtigten Krieges gewesen und wird erst recht der Zweck des Friedens sein. Was sonst darüber gesagt und beschrieben wird, namentlich von offizieller und offiziöser englischer und französischer Seite, sind Phrasen für die eigene Propaganda, nichts weiter. Wir sollen und werden sein ein Satellitenstaat niedrigster Ordnung trotz angeblicher Demokratie, Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und dergleichen auch nach noch so später Aufhebung der Besatzung, der hohen Kommissar-Regierung und noch späterer der uns aufzuerlegenden Überwachung. Die Frage ist bloß, ob es ein angelsächsischer oder ein russisch-bolschewistischer sein wird. Eine Kollektivschuld eines ganzen Volkes aber gibt es nicht. Man kann sie einem besiegten Volke, das sich nicht wehren kann, wohl andichten, man kann, wenn man die Macht dazu hat, dieses Volk sogar dafür bestrafen, aber man kann ein Volk nicht zwingen, an die ihm angedichtete Kollektivschuld zu glauben. Auch das deutsche Volk nicht. Es ist nicht wahr, dass es in seiner großen Masse von den Untaten der Nazis gewusst hat und damit einverstanden war. Der Kreis, der mit auch nur einiger Bestimmtheit und nicht nur durch leise und heimlich herumgeflüsterte, ungreifbare und unkontrollierbare Gerüchte davon Kenntnis hatte, was bis zum Kriege und auch noch bis in die letzten Jahre des Krieges hinein verhältnismäßig sehr klein. Denn diejenigen, die Sicheres davon wussten, haben aus begreiflichen Gründen wenig oder meist wohl gar nicht darüber gesprochen, und selbst Leute, die aus dem KZ kamen, hüteten sich im Allgemeinen sehr, über ihre Erfahrungen und Erlebnisse ausführlicher zu sprechen. Wenn man so einen fragte, dann bekam man gewöhnlich – mir selbst ist das einige Male passiert – die kurze Antwort: Das können Sie sich ja leicht selbst vorstellen, oder so Ähnliches. Wollte man Näheres wissen, so stieß man in der Regel auf glatte Verweigerung jeder weiteren Erklärung. Auch das ist nichts Außerordentliches und Ungewöhnliches. Die Leute waren eben derart eingeschüchtert und infolgedessen auch äußerst misstrauisch, dass sie nicht zu sprechen wagten oder wenn schon, dann höchstens im allervertrautesten und engsten Kreise und auch das oft nicht.

Um wieder von der Schuld zu reden: Die große Schuld der Deutschen war, dass sie so dumm waren, in der ihnen durch ihre Gegner bereiteten Not und Bedrängnis einem demagogischen Rattenfänger und größenwahnsinniger Verbrecher ins Garn zu gehen. Für diese Schuld müssen sie jetzt zum Teil in der Natur der Dinge liegendes unvermeidliches, zum andern größeren Teil jedoch ihnen von den anderen mit dem Machtrechte der Sieger auferlegtes unermessliches Leid ertragen (…)“, und er appelliert an die deutsche Jugend:

„Wir haben unsere Fehler und Schwächen wie die anderen und wollen davor unsere Augen nicht verschließen. Wir wollen das Gute anerkennen auch, wenn wir es bei den andern finden, und das Schlechte erkennen auch, wenn wir es bei uns selbst feststellen müssen. Aber wir haben es nicht nötig, auch in unserer heutigen Lage nicht, vor den andern auf dem Bauche zu kriechen und ihnen die Stiefelsohlen zu lecken, uns zu entwürdigen und zu erniedrigen, alles Fremde anzubeten, nur weil es fremd ist, und auch über das Gute am deutschen Wesen und in der deutschen Geschichte wegwerfend hinwegzusehen und hinwegzugehen oder es gar verächtlich zu machen.

Lasst Euch Euer deutsches Vaterland nicht verekeln und minderwertig machen! Es ist leicht und schön, ein Vaterland der Macht und der Größe zu lieben und stolz darauf zu sein, viel schwerer, aber ehren- und verdienstvoller vor Gott und dem anständigen deutschen Mitmenschen ist es, treu und fest zu einem gedemütigten und niedergetretenen Vaterland zu stehen und es auch in der größten Not und Bedrängnis nicht zu verleugnen, sondern standhaft bei ihm auszuharren. Wahre Deine Würde deutsche Jugend! An Dir ist es, dem deutschen Volke die verloren gegangene Achtung der Welt wiederzuerringen. Du wirst die Achtung der andern nur gewinnen können, wenn Du dich selbst achtest. Lasst Euch nicht von dem blöden Gerede übertölpeln, dass das deutsche Volk wieder das Volk der Dichter und Denker werden müsse. Diese plumpe Zweckschmeichelei soll ja nur unsere Aufmerksamkeit von dem wahren Ziele der anderen ablenken, das dahin geht, den Deutschen ihren Anteil am politischen und wirtschaftlichen Leben der Welt, den sie für ihr Eigenleben als Nation und Volk so gut wie jedes andere Volk brauchen und beanspruchen dürfen, zu schmälern und so klein und bescheiden wie nur irgend möglich zu halten. Nicht dazu nur sind die beiden Weltkriege geführt worden, um den deutschen Militarismus und Nationalismus – die Militarismen und Nationalismen der Sieger blühen und gedeihen unterdessen üppiger denn je weiter – und den Nationalsozialismus aus der Welt zu schaffen, sie sind viel mehr noch und vor allem geführt worden, um Deutschland endgültig von seinem Platz an der Sonne in der Welt zu verdrängen. Das ist ihnen leider und nicht ohne unsere Schuld gelungen.“

Diesen Text in dieser Länge, habe ich zitiert, weil er die gesellschaftliche Befindlichkeit der deutschen Elite auf den Punkt bringt. Selbstverständlich war der Alte nicht dumm. Aber der wirklich dumme Gedanke, dass Deutschland stets „benachteiligt“ und „Opfer“ war, hat sich im deutschen Konservativismus offensichtlich über zwei verheerende Weltkriege hinweg erhalten und wird im 21. Jahrhundert, Tatsachen grundsätzlich missachtend, weiter gepflegt. Natürlich unter Verwendung eines scheinbar unerschöpflichen Variantenreichtums. Gerade zu Gedenktagen erscheint jeweils eine Flut an derart gestrickter Literatur, Filmen und Hörfunk Produktionen.

Es ist nicht zu übersehen: Die Beseitigung des Naziregimes ist dem Alten nicht Befreiung. Im Vordergrund steht bei ihm das „gedemütigte und getretene Vaterland“. In dem Text sind bereits all die NS-Relativierungen erkennbar, die uns in den kommenden Jahrzehnten immer wieder begegnen, die jeder Generation als was ganz Neues angedreht werden.[20] Umstandslos wird aufgerechnet und relativiert.
Bereits 1947 war für einen politischen Beobachter durchaus zu erkennen, dass die Alliierten eine „Kollektivschuld“ weder annahmen noch entsprechende „Kollektivsühne“ verordneten. Es war der schier ungeheure Umfang der Einzelfallprüfungen vor den Spruchkammern, es war ein ungeheurer Aufwand, den die alliierte und später, die kaum entnazifizierte und allenfalls leidlich demokratisierte, Justiz betrieb, jeden Fall als individuellen Fall aufzuklären. Fritz Bauer, (Oberstaatsanwalt, Frankfurt, 1956-1961) wurde die umfassende Aufklärung von Nazi-Verbrechen ausgesprochen schwer gemacht. Erst im 21. Jahrhundert mit den Fällen Demjanjuk (2011) und Gröning (2015)[21] gab die Justiz den für eine Verurteilung wegen Mordes geforderten Einzelnachweis auf. Die SS-Wachmänner wurden rechtskräftig verurteilt, auch wenn ihnen persönlich keine Morde mehr nachgewiesen oder zugeordnet werden konnten.

Die Schnittstellen des „typischen“ nationalen Deutschen zum NS sind unübersehbar. Wer „Volk“, „Nation“ und „Vaterland“ über Freiheit, Demokratie, Toleranz und Rechtsstaat stellt, wer Nationalegoismus („Deutschland zuerst“) in Abgrenzung zu anderen predigt, ist anfällig.

Von Belasteten und Mitläufern
Wenn wir uns heute darüber aufregen, dass Nazis Lügen, wenn sie die Klappe aufmachen, ist das berechtigt. Der Vorwurf ist historisch gut begründet.[22] Die ungeheure Zahl von 6 Millionen vor die Spruchkammern zwecks Entnazifizierung Geladenen, war von vornherein viel zu gering. Nach einer Volkszählung im Jahr 1946, steht dieser Zahl eine Bevölkerung von 65 Millionen gegenüber (Deutschland Westsektoren). Nutznießer*innen der Verbrechen, z.B. die Arisierungen, die Plünderung jüdischer Wohnungen, nach der Deportation der Bewohner*innen, der Boykott jüdischer Geschäfte, Diffamierung und Ausgrenzung von Ärzt*innen, Professor*innen, Wissenschaftler*innen, Lehrer*innen etc., rassistische Eingriffe in das Privatleben (Ariernachweis, Verbot sogenannter Mischehen), die Deportationen in die Mordlager mit der Deutschen Bahn in Viehwaggons. Diese Aktionen fanden in aller Öffentlichkeit und unter dem Beifall der deutschen Nachbarn statt. Oft blieb es nicht beim Beifall, sondern diese Nachbarn beteiligten sich unmittelbar an diesen Aktionen. Solche Verbrechen fanden praktisch in jeder deutschen Gemeinde statt. Hitlers „Sozialstaat“ nur für Deutsche (!), wie er heute von Neu-Nazis wieder gefordert wird, konnte nur funktionieren, weil die dafür notwendigen Ressourcen auf das brutalste den deutschen Juden geraubt und später, in den überfallenen Ländern, geplündert und nach Deutschland geschafft wurden.[23] Es war nicht so, dass dies im Geheimen stattfand. Das wusste jede*r. Kaum eine Nazi-Rede seinerzeit, in der nicht Raub, Mord und Totschlag als „deutsches Recht“ deklamiert wurde. „Rücksichtslos“, meist in Verbindung mit „vernichten“, war des Führers und seiner Lakaien beliebtestes Wort.
Den „angebräunten“, die an der Forschung zum NS Zweifeln, können wir entschieden entgegentreten. Das Nazi-Regime ist umfassend und detailliert erforscht. Mir ist keine Nazi Lüge bekannt, die nicht von der Forschung aufgeklärt worden ist.

Niklas Frank sammelt in seinem fast 600 Seiten starken Buch mit dem selbsterklärenden Titel, „Dunkle Seele, feiges Maul. Wie skandalös und komisch sich die Deutschen beim Entnazifizieren reinwaschen“, J.H.W. Dietz Verlag, ET 2017, teilweise kurioseste Lügenmärchen, die doch tatsächlich dazu führten, dass zahlreiche Klienten den begehrten „Persilschein“ bekamen. In einer Buchbesprechung des Deutschlandfunk von Otto Langels (6.2.2017, Blütenweiß ins Wirtschaftswunder) findet sich eine Auswahl an Zitaten, hier eines:

„Die absurdeste Begründung, die ich für eine SA-Mitgliedschaft gefunden hab, da sagt nämlich einer: Im Dezember 1932 trat ich als Zahnarzt in die SA ein, um die Gebissverhältnisse der SA in Behandlung zu führen. Einer, der sagte, obwohl er selber Nazi war, um seinen öffentlichen Widerstand gegen die Nazis zu dokumentieren, sagt er: Ich bin wiederholt in Seitenstraßen eingebogen, um die SA nicht grüßen zu müssen.“ (Niklas Frank, zitiert s.o.).

Niklas Frank, Journalist und Buchautor, ist ein wertvoller Zeitzeuge, an dem sich jeder Nazi-Lügner die Zähne ausbeißen wird. 1939 geboren, Sohn des einstigen „Schlächters von Polen“ (so nannten ihn seine Opfer), Hans Frank[24], Generalgouverneur Polens, im Zuge der Nürnberger Prozesse zum Tode verurteilt und hingerichtet. Niklas Frank ist intimer Kenner der Protagonist*innen des Nazi-Regimes. Stramme Jung-Nazis der Kategorie 4 (der „ehrliche Nazi“ ), werden das Buch von Niklas Frank, Der Vater. Eine Abrechnung, C. Bertelsmann, München 1987; Neuausgabe 2014, als das Werk eines „Verräters“ bezeichnen, und sich damit als Nazis outen. Alle anderen werden es mit großem Erkenntnisgewinn lesen und diskutieren. Dieses Buch gehört in jeder Schulklasse zur Lektüre empfohlen und bearbeitet.

Solange Nazis ihre Verbrecherideologie verbreiten

„…. Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
,WIR SCHWÖREN!“

(Aus dem Buchenwaldschwur, Mordlager Buchenwald).

und Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen.

Das Ende …

Anmerkungen

[1] Siehe dazu Constanze Kindel, Geo-Magazin und Vincent Bruckmann, Die Zeit.

[2] Der Abschnitt, den ich aus der Bundestagsrede zitiere, ist in der Rede identisch. Die verschriftlichte Fassung der Rede steht auf der Seite von Herbert Huber, Wasserburg und bezieht sich auf die folgende Quelle: Bernt Engelmann. Das neue Schwarzbuch: Franz Josef Strauß. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1980. 5. veränderte Neuauflage, S. 177-200.

[3] Wehner spielte vermutlich auf den Putsch in Chile im September 1973 an. Der gewählte Sozialdemokratische Staatschef Salvador Allende wurde von reaktionären Militärs um den General Pinochet gewaltsam gestürzt. Massenverhaftungen und Massenmorde folgten auf dem Fuß. Unterstützt wurde der Putsch von den USA, aber auch von den Rechten in Europa. Konservative Blätter in Deutschland sekundierten und berichteten durchweg positiv über den Putsch. Wehner dürfte auf die folgenden Worte  anspielen, die damals allgemein bekannt waren: „Der CSU-Politiker und spätere Kanzlerkandidat Franz-Josef Strauß schrieb im Bayernkurier: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“ CDU-Generalsekretär Bruno Heck, zurückgekehrt nach seiner „solidarischen“ Reise aus Chile: „Soweit wir Einblick bekommen haben, bemüht sich die Militärregierung in optimalem Umfang um die Gefangenen. Die Verhafteten, die wir … sprachen, haben sich nicht beklagt.“ Über die Lage der im Stadion von Santiago gefangenen und gefolterten Chilenen sagte Heck der Süddeutschen Zeitung am 18.10.73: „Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm.“, (Telepolis, Heise Online-Mag. 11.9.2003)

[4] Es warnte u.a. 1953 der SPD Informationsdienst: „In der Unterhöhlung und kalten Inbesitznahme von bestehenden Parteien durch ehemalige NSDAP-Leute liegt die große Gefahr für die deutsche Demokratie und das deutsche Volk. … Viele Wahlversammlungen der DP (eine der Vorläuferparteien der CDU/CSU, Anm. SL) und der FDP unterscheiden sich kaum noch von denen der NS-Versammlungen vor 1933; Die selbe Mischung von Furcht- und Hasskomplexen, Appelle an Ressentiments, an deutsche Größe und deutsche Mission, an blutleeren Antibolschewismus …“, ebd. Antifaschismus, S.317). Kommt einem doch irgendwie bekannt vor, wenn man da auf eine gewisse Partei im Jahre 2019 blickt.

[5] Eichmann wurde nach einem aufwändigen Prozess in Israel im Juni 1962 hingerichtet. Der Oberstaatsanwalt Fritz Bauer trug zur Ergreifung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst bei, weil der begründete Verdacht bestand, dass die Verhaftung und Verurteilung dieses Massenmörders von höchsten deutschen Regierungskreisen hintertrieben wurde. Ich persönlich bin Gegner der Todesstrafe. Dennoch ist es paradox. „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, so lautet Artikel 102 des Grundgesetzes. Und woran Thomas Fischer, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, hier erinnert: dass die Forderung, diesen Artikel ins Grundgesetz aufzunehmen, erstaunlicherweise aus der rechtskonservativen Ecke kam. Genauer: von Hans-Christoph Seebohm, dem späteren Bundesverkehrsminister. Er und seine Freunde von der Deutschen Partei wollten das Verbot. Der Grund: Sie wollten damit weitere Hinrichtungen von NS-Tätern vor Militärgerichten der Alliierten stoppen.“, siehe dazu Deutschlandfunk vom 3.4.2019, 70 Jahre Grundgesetz, Als die Todesstrafe abgeschafft wurde.

[6] Vergewaltigungen durch westliche Angehörige der Streitkräfte wurden eher weniger angeprangert, darüber wurde erst am Beginn des 21. Jahrhundert öffentlich debattiert.

[7] Um, in der Regel, böswilligen Missverständnissen vorzubeugen. Es ist eine andere Geschichte, die erzählt werden darf, ja muss. Als Folge des NS-Krieges, dessen Nazi-Urheber alle diese in diesem Zusammenhang beschrieben Gräuel und noch schlimmere, im zweiten deutschen Krieg des 20. Jahrhunderts bereits angewendet hatten, wurde nun die „Rechnung“ präsentiert. Teile meiner Familie zählen zu den Flüchtlingen, aber die, und das ist mir in vielen Gesprächen mit Betroffenen so begegnet, haben durchaus Ursache und Wirkung zu unterscheiden gewusst. Von den Leuten, die das völkische Opfergejammer anstimmten, kann ich zu fast 100% sagen: Das waren genau die, die den Nazi-Geist so tief verinnerlicht hatten, dass wir sie durchaus als Nachkriegsnazis bezeichnen dürfen. Andere, die ohne Zweifel Schlimmstes durch gemacht hatten, wussten sehr wohl, dass sie dies dem 12-jährigen Verbrecher-Reich zu verdanken hatten. In den 2010er Jahren wurden zahlreiche Bücher veröffentlicht, die sich in angemessener Weise mit der Frage von Schuld, Sühne, Opfer unter den Deutschen auseinandersetzten, z.B. Sabine Bode, Nachkriegskinder, Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter, Klett-Cotta Verlag.

[8] Einen weiteren Beitrag speziell zur Frage der Kriegsheimkehrer und der damit verbundenen Traumata einerseits, und der Traumata der Opfer des NS-Regimes, leistet 2009 Svenja Goltermann: Die Gesellschaft der Überlebenden, Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg, DVA, (siehe dazu Godehard Weyerer im Deutschlandfunk).

[9] Die Alliierten haben, bereits in Kenntnis vieler Verbrechen ungeheuerlichen Ausmaßes in der Abkommen von Jalta am 3.-11. Februar 1945 erklärt: „Es ist nicht unsere Absicht, das deutsche Volk zu vernichten, aber nur dann, wenn der Nationalsozialismus und Militarismus ausgerottet sind, wird für die Deutschen Hoffnung auf ein würdiges Leben und einen Platz in der Völkergemeinschaft bestehen.“ Allen Neu-Nazi Lügenbolden zum Trotz, ist unbestreitbar, dass die Alliierten sich an dieses Versprechen gehalten haben. Es sollte jedoch auch als Prophezeiung verstanden werden: Wenn Deutschland sich anschickt, Nazis und Militarismus zu einer Wiederkehr zu verhelfen, dann könnte das so ausgehen, wie es Karthago erging.

[10] Das erste Verbot einer Partei in der jungen Demokratie traf die Nazi-Nachfolgepartei SRP 1952, 1956 folgte ausgerechnet die KPD, Partei des Widerstands gegen den NS.

[11] Bundeskanzler 1949 bis 1962, CDU

[12] Auch die SPD sah die Wehrmachtssoldaten in den 1950iger Jahren als „Opfer“ des NS-Regimes: „Eine Vorreiterrolle bei dieser Konstruktion der ehemaligen Wehrmachtssoldaten als Opfer kam den christlichen Kirchen zu, doch erklärte im Frühjahr 1947 auch der SPD- Informationsdienst: „Die SPD ist der Meinung, daß die deutschen Kriegsgefangenen nicht Träger sondern Opfer des Hitler-Faschismus sind.“ Über solche Deutungsangebote versuchte die SPD nicht nur, sich von der SED in der sowjetischen Besatzungszone abzusetzen, sondern auch, sich über eine breite Koalition vom ehemaligen Widerstandskämpfer bis zum Kriegsveteranen eine sozialdemokratische Mehrheit im Nachkriegsdeutschland zu sichern.“ Im allgemeinen Jubel um die Freilassung der Wehrmachtsoldaten sah man darüber hinweg, dass sich „…auch politisch höchst Kompromittierte wie der Auschwitz Arzt Carl Clauberg, die KZ-Wächter Gustav Sorge und Wilhelm Schubert oder der frühere Magdeburger Gauleiter Karl Jordan befanden …“, Dr. Frank Biess, 2003, damals.de

[13] Bevor Brandt 1969 Kanzler wurde (neue Ostpolitik und mehr Demokratie wagen), wurde Deutschland mittels einer großen Koalition regiert. Der Kanzler Kurt Georg Kiesinger war, das war allgemein bekannt, ein Altnazi. Dass so jemand demokratische Mehrheiten erzielt, die ihn zum Bundeskanzler machen, wirft ein Licht auf die Schamlosigkeit der Nachkriegsgesellschaft. Beate Klarsfeld, ohrfeigte Kiesinger öffentlich und wurde dadurch weltbekannt. Klarsfeld hat zur Aufklärung über Kiesinger enorm viel beigetragen. Dass der Anti-Nazi Brandt mit dem Nazi Kiesinger eine Regierung bildete, das ist eine der Widersprüchlichkeiten der jüngeren deutschen Geschichte. Ob dieser Rechts-Liberale Zug der Sozialdemokratie im Nachhinein für die Beseitigung der braunen Gesinnung nützlich war, darf stark bezweifelt werden. Wer nun darauf verweist, Nazis gäbe es heute doch nur im Osten Deutschlands, der macht es sich ein bisserl einfach. Was die Stimmenzuwächse der neuen Nazi-Partei z.B. in Bayern angeht, sollten sich die Wessis nicht selbst zufrieden zurücklehnen! Wenn Nazis wenige Jahre nach 1945 Kanzler werden konnten, besteht die Gefahr im 21. Jahrhundert und bei einer geschichtsdementen Gesellschaft umso mehr. Ein ausgezeichneter Artikel zum anderen Nazi-Bundeskanzler (von 1963-1966,ebenfalls CDU) und gefeierten „Vater des Wirtschaftswunders“ Ludwig Erhard in der TAZ vom 23.9.2019.

[14] Daniel Goldhagen, Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist, Verlagsgruppe Random House, 2009 untersucht die unterschwelligen Codes, die eine Gesellschaft pflegt, und die von den Eliten dieser Gesellschaft immer dann aufgerufen werden, wenn ein Völkermord eingeleitet wird. In einem Interview in der Zeit vom 19.11.2009: „ZEIT ONLINE: Sollte das Militär also mehr als Ultima Ration sein?
Goldhagen: Nein, aber eine unabdingbare Möglichkeit. Meine Arbeit zeigt, dass jeder Genozid mit Entscheidungen einzelner oder kleiner Führungsgruppen beginnt. Es sind also keineswegs immer lang währende ethnische Spannungen, die sich wie von allein entladen und außer Kontrolle geraten. Nichts an einem Völkermord ist spontan, er ist Politik, vollzogen von ihren Entscheidungsträgern. Beim Genozid entledigen sich politische Führer unliebsamer Bevölkerungsgruppen. Das nenne ich „Eliminatorismus“. Und solange es keine internationalen Kräfte dagegen gibt, bleibt er als Faktor nationaler Machtpolitik Teil kühler Kosten-Nutzen-Rechnungen. Dagegen hilft nur Abschreckung.“ Alle Versatzstücke solcher Codes finden sich in den Argumentationsmustern auch im modernen Deutschland. Etwa die permanente Ausgrenzung von Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland, die egal was sie machen, „Fremdkörper“ zu sein scheinen. Oder die beständig am Leben gehaltene Fremdenfeindlichkeit (gegen alle, in der rassistischen Terminologie nicht „biodeutschen“), die sich in der „mildesten“ Form als „Misstrauen“ äußert, aber jederzeit in gewalttätigen Hass umschlagen kann.

[15] Der musste dann bei allgemeinem Unverständnis der örtlichen Politiker*innen, auf bundesweiten Druck der Bundesparteien, wieder abgewählt werden.

[16] Der Autobahnbau war bereits lange vor der Nazidiktatur geplant und im Bau. Der Nazi-Lügner profitierte nur davon und schmückte sich mit fremden Federn. Die „Arbeitslosigkeit“ wurde mit dem Zwangsarbeitsdienst „beseitigt“ und wenn kriminelle an den Schalthebeln der Macht sind und in der Regierung sitzen, ändert sich die Definition von Kriminalität beträchtlich.

[17] Siehe dazu Ralf Giordano, Die Traditionslüge, Vom Kriegerkult in der Bundeswehr, KiWi Verlag, ET 2000. Es möge jeder Mensch um seine Angehörigen trauern. Diese aber zur staatlichen Gesinnungsdemonstration zu missbrauchen, um begangenes Unrecht zu verschleiern, ist inakzeptabel.

[18] Mit Widerstand ist überwiegend das gescheiterte Attentat gegen Hitler vom 20. Juli 1944 gemeint. Der Widerstand ist nicht Gegenstand des Artikels. Die Geschichte des Widerstands ist für diesen Artikel zu komplex. Die größte Angst der deutschen Elite, im Fall der absehbaren Niederlage des „Reiches“ war es, es könnte zu einer erneuten Revolution in Deutschland kommen. Die 1918er Revolution hatte die Monarchie beseitigt und durch die beim konservativen Bürgertum verhasste Demokratie, die Weimarer Republik, ersetzt. Da wollte man retten was zu retten ist. Die Voraussetzung, um mit den West-Alliierten über einen Separatfrieden verhandeln zu können, war die Beseitigung Hitlers. Die ungeheuren Grausamkeiten, die vom deutschen Nazi-Heer im Osten begangen worden waren, ließen sie die Rache fürchten. Die Angst vor der Rache „der Russen“ ist fester Bestandteil der Nachkriegslegende. In Deutschland wird besonders dieser Widerstand idealisiert. Dieser Widerstand müsste sehr viel differenzierter diskutiert werden. Wären die Attentäter erfolgreich gewesen, Hitler und ein Teil des Regimes wären beseitigt worden, das ist gewiss. Aber was wäre stattdessen gekommen? Eine Demokratie sicher nicht. Eine Militärdiktatur? Das sind durchaus auch heute noch Fragen, die für das gesellschaftliche Demokratie Verständnis von Bedeutung sind.

[19] Und wieder der „Stern“. Carsten Heidböhmer, Kulturredaktion, haucht den Odem des Blattes im September 2004 anlässlich des Hitler-Streifens „Der Untergang“: „Ohne moralische Empörung und Erklärungen zeigt ‚Der Untergang‘ die Zeit zwischen dem 20. April und dem 2. Mai 1945. Gerade das Fehlen von Wertungen gehört zu den Stärken des Films. (…) Doch Bruno Ganz zeigt auch eine andere Seite des Diktators: den Tierfreund, der sich rührend um seinen Schäferhund Blondi kümmert, den Privatmenschen, der sich nachsichtig und freundlich gegenüber den Frauen seiner Umgebung verhält. Hier ist Hitler kein Dämon, er ist Mensch.“ Das Drehbuch geht auf den Bestseller von Joachim Fest aus dem Jahre 2002 zurück. Fest war der gefeierte „Hitlerexperte“ des konservativen Bürgertums. Seine Texte sind eine Mischung aus Psycho-Erklärung des Dämonen-Menschen Hitler, literarischer Dichtung und, wie gelegentlich auch öffentlich kritisiert, Freiheit von Fakten und mangelhafter Recherche. Der Stil liegt zwischen „Spiegel“ und „Bild“. „Intim mit dem Führer, wie er wirklich war“, „Fest: Tischgespräche mit der Leiche“.

[20] Daniel Goldhagen, Hitlers Willige Vollstrecker, ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Pantheon Verlag 2012, rief, wie sollte es anders sein, sofort die konservative Historikerriege auf den Plan. Goldhagens Buch ist eine gute Ergänzung der Untersuchung von Götz Aly, Hitlers Volksstaat. (s.a. Anm. 19). Das Buch räumt mit jedwedem Opfermythos auf. Stichwort und Kürzest-Zusammenfassung: „Und Urgroßopa war eben doch ein Räuber und Mörder …“. Neo-Nazis hatten den Slogan „Opa war kein Mörder“ gegen die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung verbreitet. Siehe dazu auch
https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/wehrmachtsausstellung100_page-1.html.

[21] Wer sich darüber wundert, dass NS-Täter*innen oft erst in hohem Alter verurteilt wurden, auch dazu gibt es zahlreiche Studien. Die juristische Aufarbeitung des NS ist im wahrsten Sinne die Erfindung der Langsamkeit. Wer darin sucht, die/der schlägt ein weiteres, schlimmes Kapitel bundesdeutscher Geschichte auf.

[22] Wenn Nazis von „Freiheit“ reden, meinen sie, anderen die Freiheit nehmen zu dürfen, wenn Nazis von Demokratie sprechen, möchten sie die abschaffen, wenn Nazis Pressefreiheit fordern und von Lügenpresse schwadronieren, meinen sie, erlaubte Meinung ist ihre Meinung, wenn Nazis „Frieden“ deklamieren, meinen sie Friedhofsstille und sie bereiten den Krieg vor. Wenn es nicht der ganz große ist, dann doch wenigstens der Bürgerkrieg … und so weiter, das kann jede*r selbst fort schreiben …

[23] Siehe dazu Götz Aly, Hitlers Volksstaat – Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, S. Fischer Verlag, 2005, (s.a. Deutschlandfunk, 11.4.2005).

[24] Siehe Biografien RBB und Wikipedia