Zensur im Weltkrieg I – Im Kampf gegen Bethmann-Hollweg

In diesem Kapitel schildert der Autor seine wachsende Skepsis am Erfolg der kaiserlichen Kriegführung und mach vornehmlich den Reichskanzler Bethmann-Hollweg als Verantwortlichen aus. Er schildert die intensive Arbeit eines “Volksausschuss zur Niederkämpfung Englands”, dem zahlreiche Honoratioren der damaligen Medienwelt, der Industrie, Intellektuelle usw. angehörten. Kern der Kritik war, die deutsche Kriegsführung gegen England sei zu lasch. Man befürchtete die Niederlage Deutschlands. Man beklagte: “Die Männer, die es trotz vielfacher Anfeindung und Schwierigkeiten aller Art unternommen hatten, aus dem Gefühl der Mitverantwortlichkeit und der vaterländischen Pflicht die Gedanken und Sorgen weiter Kreise dem König vorzutragen, werden dafür in der sozialdemokratischen und dem mit ihr in ein Horn blasenden Teil der bürgerlichen Presse in einer Weise angegriffen, heruntergerissen und verhöhnt, welche schon aus Gründen des Anstandes und der Reinlichkeit eine entsprechende Erwiderung schwer machen würde, auch wenn eine solche Erwiderung sonst möglich wäre.” Der Verweis auf die Sozialdemokratische Presse und überhaupt die Kritik dieser Konservativen vermutet einen zu großen Einfluss der Sozialdemokratie auf die Kriegsführung, wirft Fragen auf. CF beklagte bitterlich die Militärzensur, beschwerte sich über die “Deutschfeindliche” Berichterstattung der Schweizer NZZ (Neue Zürcher Zeitung) und beklagte Korruption bei der Heeresbelieferung am Beispiel des Pferdehandels. Im Verlauf berichtet der Autor von der Torpedierung der Hampshire und Kitscheners Tod (Earl und Befehlshaber der britischen Armee, der sich an Bord befand).

Im Original beginnt der Abschnitt mit der Überschrift (BD-II-241-272)

Mein Kampf gegen Bethmann-Hollweg

Dieser Kampf begann am 15. August 1914, in der ich Kenntnis erhielt von der Äußerung, die der Reichskanzler am 4. August im Reichstag getan hatte, als er vom Unrecht sprach, das wir an Belgien getan hätten und das wir wiedergutzumachen versuchen würden. Ich war einfach erschüttert, als ich das las. Ein Diplomat und ein Reichskanzler durfte Dergleichen niemals dem Gehege seiner Zähne entschlüpfen lassen. Ein Engländer, Lloyd George z. B., würde eine solche Äußerung in gleicher oder ähnlicher Lage nie getan haben.

Von da fing ich an, an dem Reichskanzler Bethmann Hollweg zu zweifeln, und gleich mir taten es viele, viele andere. Mit dem billigen Schlagwort „Alldeutsche“ suchte man diese ihr Vaterland liebenden außenpolitisch etwas weiter als andere schauenden Menschen abzutun. In Wahrheit handelte es sich dabei meist um Leute, die von dem Bestehen der verschwindend kleinen Organisation der Alldeutschen keine Ahnung hatten. Vor mir liegt ein Mitgliedsverzeichnis des bayerischen Teiles des „Volksausschusses zur Niederkämpfung Englands“ vom September 1917, also aus dem zweiten Jahre seines Bestehens. Alle Stände sind da vertreten, vom einfachen Arbeiter angefangen gibt es fast keinen Beruf, der fehlt. Und das sind alles „Alldeutsche“!

Die Zensur im Kriege

Aber gehen wir chronologisch vor! Zuerst muss da, weil zum Verständnis und zur richtigen Beurteilung der Dinge notwendig, sinniges gesagt werden über die militärische Zensur während des Krieges. Das war zunächst tatsächlich und ausschließlich eine militärische Zensur, und dass es die geben musste, war in einem Kriege selbstverständlich. Die Art ihrer Ausführung ist dabei eine Sache für sich, und sie war, das darf man schon sagen, alles andere als ideal, vor allem weil es an den geeigneten Organen dafür fehlte. Die militärische Zensur wurde aber sehr bald und sehr viel mehr noch eine politische Zensur, und das war von Übel, zumal sie in der kleinlichsten und rigorosesten Weise gehandhabt wurde. Ich hatte mir eine ganz stattliche Sammlung von durch die Zensur abgelehnten Artikel angelegt, und ich hätte an Hand dieser Sammlung meine Behauptung jederzeit beweisen können, wenn nicht die feindlichen Bomben im zweiten Weltkrieg mit meinem Archiv auch diese Kuriositäten vernichtet hätten. Immerhin habe ich noch rechtzeitig vorher Einiges daraus für diese Aufzeichnungen verwerten können. Eines Tages schickte uns ein junger Reserveoffizier aus dem Felde eine militärisch wie politisch gänzlich harmlose, aber sehr stimmungsvolle kleine Schilderung „Die Toten begraben“, deren Veröffentlichung indes die Münchner Zensurstelle untersagte, weil die Bevölkerung dadurch „beunruhigt und deprimiert“ werden könnte.

Es hatte sich um die Schilderung eines nächtlichen, mit vielen, hauptsächlich feindlichen, aber natürlich auch deutschen Leichen bedeckten Schlachtfeldes gehandelt, auf dem ein junger deutscher Militärarzt, der sich mit seinen Leuten der Bestattung der Toten gewidmet hatte, vom Schicksal ereilt wurde. Der Zensor jedoch scheint der Meinung gewesen zu sein, man dürfe dem deutschen Volke nicht sagen, dass es in einem Kriege auch Tote auf der eigenen Seite gibt, weil es dadurch „beunruhigt und deprimiert“ werden könnte.

Die vielen Hunderte und Tausende von Todesanzeigen Gefallener, die die deutschen Zeitungen tagtäglich brachten, „beunruhigten und deprimierten“ das deutsche Volk nicht und auch nicht die vielen mit Verwundeten vollgepfropften Lazarette! Solche Geniestreiche hat die militärische Zensur während der Kriegsjahre nicht wenige verübt. Aber schließlich könnte man über sie noch mit einem verzeihenden Lächeln hinweggehen. Schlimmer war die Willkür, mit der die Zensur in den verschiedenen Generalkommando-Bereichen gehandhabt wurde.

In München wurde verboten, was in Berlin oder in Kassel oder sonst wo erlaubt war und umgekehrt. Am Schlimmsten aber war die politische Zensur und die teilweise unerhörte Art, wie sie von den militärischen Zensurstellen ausgeübt wurde. Auf Einzelheiten hierüber werde ich noch zu sprechen kommen bei der Erörterung der speziell unseren Kreis (Volks-ausschuss zur Niederkämpfung Englands) betreffenden Vorkommnisse.

Die „deutschfreundliche“ Neue Zürcher Zeitung

Ein Bravourstück, das die oberste deutsche Zensurinstanz sich leistete, schicke ich hier schon voraus. Wer die Schweizer Presse während des ersten Weltkrieges verfolgt hat, – und das taten sehr viele Leute in Deutschland – der weiß, dass unter den deutschsprachig Schweizer Blättern die Neue Zürcher Zeitung zu den Deutschland nichts weniger als freundlich gesinnten gehörte. Das Blatt war umso gefährlicher, als es sich zwischendurch auch einmal den Anschein der Deutschfreundlichkeit zu geben versuchte um des Geschäftes willen. Denn das Blatt hatte während des Krieges in Deutschland eine ungewöhnlich hohe Auflage. Die Redaktion des Blattes verstand es aber auch ebenso raffiniert, Deutschland und seinen Belangen abträgliche Dinge zu lancieren und Stimmung gegen uns zu machen. Im Ganzen und in der Grundtendenz war das Blatt jedenfalls weder deutschfreundlich noch neutral, sondern zweifelsfrei deutschfeindlich. Ich wurde oft und immer wieder aus dem Leserkreise gebeten, diese Tatsache einmal festzunageln, um den Unfug ein Ende zu machen, daß eine deutschfeindliche Auslands-Zeitung eine der am meisten bei uns gelesenen war. Ich legte auch verschiedene Artikel über den Gegenstand der Zensur vor, die mir aber alle abgelehnt wurden. Die Sache schien mir wichtig genug, um sie nicht auf sich beruhen zu lassen. Ich trieb sie daher bis zur höchsten Instanz, das war der stellv. Generalstab in Berlin. Und siehe da, eines Tages brachte mir die Post einen Schrieb des kgl. bayer. Kriegsministeriums, in dem zu lesen war, der stellv. Generalstab sei der Ansicht, dass die Neue Zürcher Zeitung ein deutschfreundliches Blatt sei und dass deshalb die Veröffentlichung von Artikeln, wie ich sie vorgelegt und in denen das Gegenteil behauptet werde, nicht opportun erscheine. Ob diese Weisheit ureigenes Gewächs des stellv. Generalstabes war oder ob sie ihm vom Auswärtigen Amt eingeblasen worden, weiß ich nicht. Das Eine wäre so schlimm wie das Andere.

Was das deutsche Volk nicht erfahren durfte

In der zweiten Hälfte des Jahres 1915 erhielt ich von einem Manne, der als Schlachthofdirektor und Bezirkstierarzt Gelegenheit hatte, die Dinge, über die er schrieb, selbst zu beobachten, eine Zuschrift über die Kriegsgewinne beim Pferde- und Viehhandel, die ich, da ich glaubte mit der Veröffentlichung dem deutschen Volke und der Kriegswirtschaft einen Dienst zu erweisen, der Zensur vorlegte. Sie wurde mir aber, nachdem die Zensur mehr als vierzehn Tage Zeit zur Überlegung gebraucht hatte, verboten. Sie ist jedoch auch heute noch sehr interessant, und da ich mir von dem Einsender das Manuskript zu etwaiger späteren Verwertung ausgebeten habe, mag hier der Wortlaut folgen:

„Als bei Kriegsbeginn von den Pferdebesitzern, nicht ausschließlich von Landwirten, die besten Pferde zum Heeresdienst ausgehoben wurden, war reichlich Gelegenheit geboten, missmutige Reden über den Entgang von Gespanntieren zu hören, obwohl zu dieser Zeit Pferde in überreicher Zahl vorhanden waren und für diese durch die Schätzleute schon damals „Kriegspreise“ festgesetzt wurden.

Gutsbesitzer bekamen ihre Pferde durchschnittlich geringer geschätzt als Bauern, und wie weit verwandtschaftliche oder sonstige Beziehungen bei der Preisfestsetzung eine Rolle spielten, soll hier nicht untersucht werden. Je mehr Pferde ausgehoben wurden, desto höher stiegen die Schätzungswerte, desto größer war aber auch der Unwille derer, die sie abgeben mussten.

Ende November kamen französische Beutepferde zu Preisen von 30 – 100 Mark zur Verlosung, also zu Preisen, die kaum die Spesen deckten. Damals konnte beobachtet werden, dass Leute Pferde erhielten, die überhaupt solche nicht abgegeben hatten.

Auch hätte man denken können, dass die Landwirte darauf hätten bedacht sein müssen, dass sie ihre jungen Pferde unter drei Jahren behalten und sich diese als Ersatz für die ausgehobenen Zug- und Zuchtpferde herangezogen hätten. Weit entfernt! Gerade solche Pferde wurden von den zahlreichen nach solchen suchenden Händlern massenhaft und zu riesigen Preisen aufgekauft und ausgeführt. Diese Preise, oft bis zu 2400 Mark, lockten und reizten die Gewinnsucht. Als die Pferdeausfuhr zunahm, wurden die Armeekorpsgrenzen gesperrt, worüber unter den Pferdebesitzern nun die gleiche Entrüstung herrschte. Sie hatten spielend große Mengen Geld verdient, ohne an das Morgen zu denken, gaben sie die Pferde ab. Nun wurden die k. Bezirksämter und die Generalkommandos mit – Gesuchen überschwemmt, die Pferde, die sie nun plötzlich „wegen Hafer- und Personalmangel“ entbehren konnten, verkaufen zu dürfen. Viele Verkaufsgesuche wurden genehmigt. Über die freigegebenen Pferde fielen die „wilden Händler“ gierig her, einer überbot den anderen. Die gleichen Bauern, welche vorher Gespannsnot vorschützten, verkauften nun an Pferden, was sie einigermaßen entbehren konnten.

Zuerst begann der Handel mit militärischen Pferden, angeblich zu Schlachtzwecken, von Mähren, für die im Frieden Pferdemetzgerpreise bezahlt worden wären. Diese gingen um Preise von 400 – 700 Mark reißend ab. Zunächst erhielten nicht die Bauern selbst diese Pferde, sondern die Zwischenhändler oft sehr katilinarische Existenzen[1]. Sie zahlten an sich gute Preise verkauften aber zu weit höheren an die Agenten großer Pferdehändler mit großem Nutzen weiter und verdienten selbst nach Tausenden.

Fleißige Schmuser[2], die täglich 20 – 30 Pferde aufkauften, konnten bei einer Provision von 2o Mark pro Stück mit Tagesverdiensten von 4oo – 6oo Mark rechnen. Dazu kam noch das Vermittlungstrinkgeld von Bauern, kurz die Leute verdienten Riesensummen, und mancher Wirt kann erzählen welche, Summen ihm in Sekt angelegt wurden.

Geld spielte bei diesen Existenzen nun keine Rolle mehr. Alles und sogar „bessere“ Herren, verlegte sich nun auf den Pferdehandel, Leute, die direkt vor dem Bankrott standen, zahlten in wenigen Wochen ihre Kurrantschulden[3] glatt zurück. In eigenen und Mietautos größerer Städte durchfuhren die Agenten mit ihren Schmusern große Landstrecken, suchten Haus für Haus nach Pferden ab, kauften auf der Landstraße fahrenden Pferdebesitzern ihre Pferde ab, und es hat den Anschein, als ob die erwachsenden Spesen sich reichlich bezahlt gemacht hätten.

Doch bald bekamen auch die Bauern Kenntnis von den Riesengewinnen der Unterhändler. Die Verkaufspreise stiegen nun ins Märchenhafte, die Gewinnsucht trieb hässliche Blüten. Von einigen Bauern wurden sogar Beutepferde trotz Verkaufsverbotes um unglaubliche Summen verkauft. Es wurden, um den mächtig anschwellenden Verkaufsgesuchen entgegenzuarbeiten, Ankaufsvorführungen bei Kavallerie-Regimentern eingeführt, bei welchen die nicht angekauften Pferde durch den Brandstempel F freigegeben wurden. Nun erst blühte den Bauern der Weizen! Sie verkauften solche freigegebenen Pferde direkt an die massenhaft anwesenden Händler, die bezahlten, was verlangt wurde. Und trotz der Riesenpreise scheinen die Händler, die nahezu alle für einen Großhändler einkauften, der nach Millionen verdient hat, sicherlich nicht zu Schaden gekommen zu sein. Wagonweise gingen solche Pferde, nachdem sie vorher durch Pferdescherer und Schmied einer Verjüngungskur unterstellt worden waren, in die großen Pferdelager weiter, von welchen sie wieder meist an den Staat weiterverkauft wurden. Pferde, die später um 2000 – 3000 Mark verkauft wurden, trugen den Brandstempel F! Welche Summen mögen da wohl vom Staate für solche Pferde gefordert worden sein?

Durch diesen Pferdehandel wurden aber indirekt die Viehpreise gewaltig gesteigert. Die Bauern, die in gewinnsüchtiger Weise ihre Pferde verkauft hatten, waren nun gezwungen, zu ihren Feldarbeiten Rindviehgespanne zu verwenden. Dadurch wurden ebenso viele Rinder, als Pferde abgegeben worden waren, dem Schlachtzwecke entzogen, andererseits aber wurden nun massenhaft trächtige Kühe zu Schlachtzwecken verkauft, um auch diese zu Geld zu machen, ohne Rücksicht auf die kommende Zeit. Grau in Grau malten die Schmuser die Zukunft, um den Bauern zur Abgabe solcher Tiere willfährig zu machen. Es war hohe Zeit, dass durch Generalkommandoerlasse diesem Raubbau ein Riegel vorgeschoben wurde. Wurden die meisten schlachtbaren Tiere schon bei Kriegsbeginn durch Viehhändler, die wieder nur die Agenten großer Berliner Kriegslieferanten sind und von denen es den Anschein hat, dass sie überhaupt jeden verlangten Preis für Schlachttiere Seitens der Armeeverwaltung erhalten, im Stalle auf Abruf gekauft, wurden die Bauern Seitens der zahllosen Schmuser durch den Hinweis auf die „drohende Futternot“ zum Verkauf der Tiere gefügig gemacht, so blieb den Metzgern nichts anderes übrig, als die Restbestände zu Preisen zu kaufen, die als nie da gewesen bezeichnet werden müssen.

Wenn je Viehhandel und Landwirtschaft goldenen Boden hatten, so jetzt im Kriege, da einfach alles zu enormen Preisen an den Mann gebracht werden kann. Kommt nun Dank den planlosen Aufkäufen Mangel an schlachtbarem Vieh, so wird erst recht wieder ein Grund vorliegen, mit den Fleischpreisen in die Höhe gehen zu müssen, da der Nachwuchs an Vieh nicht mit der Schnelligkeit heranreift, als die Verkäufe erfolgt sind. Bauer und Viehhändler haben sich regelwidrig bereichert und zwar auf Kosten des Staates und des Konsumenten. Auf einen Wink werden Waren zurückgehalten, es wird eine künstliche Preissteigerung von Schweinen, Schmalz, Butter, Eiern erzeugt. Nicht Mangel ist es, es ist dieses Vorgehen nur durch die Sucht diktiert, sich mühelos zu bereichern. Hoffentlich wird man – beim nächsten Krieg Vorkehrungen treffen, dieser heute straflosen Ausbeutung von Staat und Privaten rechtzeitig vorzubeugen.“

In einem Begleitbrief schrieb der Einsender noch dazu:

„Der Nürnberger Händler heißt Steinlein, soll nach glaubwürdigen Mitteilungen für den Staat aus Ungarn und aus Bayern bis heute (August 1915) rund 300000 Pferde geliefert und 16 Millionen verdient haben. Der Zentral-Militär-Viehhändler für die Armeeverwaltung ist Wertheimer in Berlin, der ungezählte Millionen verdient. Alle Armeelieferungen können nur durch diese Händler gemacht werden. Es scheint sehr praktisch, wenn auch nicht gerade billig zu sein für den Staat, den Ankauf zu „zentralisieren“.“

Ich muss nach dieser Abschweifung auf das Gebiet der Zensur im Allgemeinen wieder anknüpfen an das, was ich über meine ersten Bedenken bezüglich der Politik des Kanzlers Bethmann Hollweg sagte. Diese Bedenken waren noch verstärkt durch das zuerst nur instinktive und unbestimmte Gefühl, dass die Reichsregierung durch den Eintritt Englands in den Krieg gegen uns überrascht worden war und an eine solche Möglichkeit nicht glaubt und deshalb auch keine Vorkehrungen nach dieser Richtung getroffen hatte. Und das war ungefähr das Schlimmste, was der deutschen Regierung und ihrer Diplomatie passieren konnte. Schon lange vor dem Kriege hatte das immer wieder in die Erscheinung tretende Versagen der deutschen Diplomatie viele Vaterlandsfreunde, deren Patriotismus sich nicht in den landesüblichen Lobhudeleien für die zuweilen recht üblen rhetorischen Übungen Wilhelms II. erschöpfte, mit wachsender Sorge erfüllt. Auch mir stiegen Angesichts der bedenklichen Schwankungen und mitunter gefährlichen Entgleisungen unserer Außenpolitik immer ernstere Befürchtungen auf, denen ich bei sich bietender Gelegenheit (Siehe Kapitel V) auch in meiner Zeitung deutlich Ausdruck gab.

Der Volksausschuss zur Niederkämpfung Englands

Meine Stellungnahme gegen Bethmann Hollweg in der Zeitung setzte nur ganz allmählich und vorsichtig ein, denn ich war mir der Verantwortung wohl bewusst, die ich damit auf mich nahm. Jedoch die Zuschriften, die ich im Laufe des Jahres 1915 und mehr noch im Jahre 1916 von allen möglichen Seiten namentlich aber aus dem Felde und nicht nur von Offizieren, sondern in weit größerer Zahl auch aus Mannschaftskreisen bekam, machten es mir zur Pflicht, dem, was ich in diesen Kreisen nach und nach an Besorgnissen und Bedenken angesammelt hatten, auch öffentlich Ausdruck zu geben. Im Jahre 1916 fand sich dann zuerst in München jener Kreis von Männern zusammen, deren vaterländisch gesinnte Herzen von schwersten Befürchtungen hinsichtlich der politischen Leitung des Reiches bedrückt wurden. Ich drängte mich keineswegs in diesen Kreis und schloss mich ihm erst an, nachdem führende Männer mich wiederholt und dringend schriftlich und mündlich dazu aufgefordert hatten. Man traf sich anfänglich zwanglos da und dort und tauschte Meinungen und Ansichten über unsere politische und militärische Lage aus. Nach einiger Zeit nahm die Sache festere Formen an in der Konstituierung als Volksausschuss zur Niederkämpfung Englands, der bald über München hinaus in Bayern und im Reich an Anhängerschaft gewann. Karl Stöhr[4], der Gründer der bekannten großen Münchner Baufirma, stellte in seinem Anwesen an der Schwanthalerstraße ein Lokal zur Verfügung, in dem wir unsere Sitzungen abhielten. Hier wurde uns auch einmal die Ehre eines polizeilichen Besuches zu teil, der den Zweck hatte, eine Haussuchung bei uns vorzunehmen, und mit der Beschlagnahme zahlreicher Akten- und Schriftenmaterials endigte.

Vorsitzender unseres Ausschusses war Geheime Rat Professor Dr. v. Gruber[5], der berühmte Hygieniker, ein von leidenschaftlicher Vaterlandsliebe beseelten prächtiger Mann, der himmelweit davon entfernt war, etwa eine politische Rolle spielen zu wollen, den allein ebenso wie alle die andern, die sich unter seiner Führung zusammenfanden, das dem Vaterlande drohende Unheil zum Handeln trieb. Da waren z. B. zwei vorzügliche Männer, die heute längst der kühle Rasen deckt, der Prinz Friedrich Löwenstein-Wertheim-Freudenberg und der Reichsrat Graf Kaspar Preysing, welch‘ letzterer allerdings als Chevaulegeroffizier[6] im Felde stand und nur gelegentlich einmal im Urlaub in unseren Kreis kam. Von ihm werde ich noch besonders zu erzählen haben. Da waren weiter der Geheime Hofrat Prof. Dr. v. Kraepelin[7], der Gründer der Münchner psychiatrischen Forschungsanstalt, der Historiker Prof. Karl Alexander v. Müller, Reichsrat Bühl, Kommerzienrat Seitz, Verlagsbuchhändler Lehmann etc. Auch eine Anzahl Reichstags- und Landtagsabgeordneter und zwar aus allen Parteien mit Ausnahme der Sozialdemokratie war in unseren Reihen. Es ist politisch sicher auch heute noch und vielleicht gerade heute wieder nicht ganz uninteressant, dass unter einer Anzahl von Zentrumsabgeordneter auch der Name des damaligen bayerischen Landtagsabgeordneten Scharnagl nicht fehlte, der später in der sog. Systemzeit Oberbürgermeister von München wurde und es auch nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches wieder war und jetzt die zweite Bürgermeisterstelle einnimmt. Wir betonten von Anfang an mit allem Nachdruck, dass wir nicht daran dächten, etwa eine neue politische Partei nach dem Muster der bestehenden aufzumachen, wir wollten allein nur für das gefährdete Vaterland wirken und rechneten dabei auf die Mithilfe aller Gleichgesinnten, welcher Partei sie auch angehören mochten. Wir hatten auch die Sozialdemokratie zur Mitarbeit eingeladen, aber sie versagte sich. Denn im Jahre 1916 begann in ihren Reihen schon Erscheinungen recht bedenklicher Art aufzutreten.

Über unser Wollen und unsere Ziele gibt der folgende Aufruf Auskunft: Volksausschuss für rasche Niederkämpfung Englands.

Aufruf

Die militärische und wirtschaftliche Einkreisung unseres Volkes wird stärker und stärker. Immer neue Staaten gehen offen zu unseren Feinden über. Italien, Portugal und Rumänien haben den Schritt bereits vollzogen. Mit dem Eintritt anderer Staaten muss man rechnen. Aber auch diejenigen Neutralen, die sich militärischer Feindseligkeiten gegen uns enthalten, werden durch schwarze Listen, Nahrungsmittel- und Rohstoff-Unterbindung immer mehr zu wirtschaftlichen Feindseligkeiten gegen uns gezwungen. So ist der Friede fern denn je.

Und warum?

Warum kommen wir trotz des aufopfernden Heldenmutes unserer Truppen und trotz gewaltiger Siege in Ost, Süd und West nicht zum Abschluss dieses Völkermordens? Weil Englands Kraft noch ungebrochen ist. England mit seinem Verbündeten Japan und seinem Helfer Amerika rüstet stets neue russische Riesenheere aus. England deckt mit seiner Aushebung die französischen Menschenverluste, schafft mit seiner Industrie und der seiner Hintermänner immer wieder ungeheures Kriegsmaterial. England ist es, das stets neue Völker gegen uns hetzt.

Aber England wird doch über kurz oder lang kriegsmüde werden?

Nein, denn England ist unser bei weitem zähester Gegner! Es hat bisher alle seine Drohungen verwirklicht. Es hat auch die allgemeine Wehrpflicht eine Millionenarmee geschaffen. Es hat den Arbeitszwang für Herstellung des Kriegsmaterials durchgeführt. Es hat uns die See gesperrt und die Neutralen in seine Dienste gezwungen. Es hat uns fast alle unsere Kolonien abgenommen. Es hat mit seinem Gelde durch die amerikanische und japanische Industrie die unerschöpflichen Menschenmassen Russlands im Jahre 1916 wieder zu Riesenheeren geformt, die besser ausgerüstet und stärker sind als je zuvor. England wird dank der Mithilfe Amerikas alles das solange fortzusetzen suchen, bis wir erschöpft sind. Es ist bis zum Äußersten entschlossen, uns zu vernichten, und wird alles daransetzen, diese Absicht zu verwirklichen. Eine Verständigung mit einem unbesiegten England zu erhoffen, ist eine verhängnisvolle Selbsttäuschung. Nach seiner bewährten Methode gegen Frankreich im Jahre 1807[8] bereitet England heute schon den Wirtschaftskrieg vor, um nach Friedensschluss jede Möglichkeit neuer wirtschaftlicher Entfaltung Deutschlands von vorneherein im Keime zu ersticken.

Und Englands Bundesgenossen?

England wird alle seine Bundesgenossen wie bisher so auch in Zukunft von Sonderfrieden abzuhalten wissen. Denn sie geraten immer mehr in ein Hörigkeitsverhältnis zu England und werden den Kampf nicht früher aufgeben, als England es ihnen erlaubt. Ist England niedergerungen, so ist auch ihre Kraft dahin.

Was ist dabei zu tun?

Auf diese Frage gibt es nur eine einzige Antwort: Nieder mit England! Die Geschichte der letzten drei Jahrhunderte beweist, dass England nur zu See bezwungen werden kann. England ist nicht nur unser gefährlichster, sondern auch unser verwundbarster Feind, weil das Inselland mit seiner Schifffahrt lebt und stirbt. Kann diese den Bedürfnissen Englands nicht mehr genügen, so ist es verloren. Dann kann ihm auch keine Unterstützung Amerikas mehr helfen, weil diese nur auf dem Seewege möglich ist.

Können wir England zur See bezwingen?

Ja. Die bisherigen Taten und Erfahrungen unserer gesamten Marine geben dafür eine sichere Gewähr.

Wird dieser Sieg nicht große Opfer kosten?

Nein. Der Seekrieg fordert unvergleichlich geringere Menschenopfer als der fortlaufende Landkrieg, wie auch die Seeschlacht am Skagerrak erweist.

Wird nicht so der Krieg verlängert?

Im Gegenteil! Die einzige Möglichkeit, zu einem raschen siegreichen Ende zu kommen, ist die schärfste Kriegsführung zur See und in der Luft gegen den Völkerverhetzer England, der den Krieg angestiftet[9] hat und immer weiter schürt. Nur so besteht Aussicht, die Neutralen abzuhalten, dass sie aus Neigung oder gezwungen sich Englands Fahnen anschließen. Wird aber England nicht im Herzen seiner Nachstellungen angegriffen, so treiben wir selbst mit der Länge der Zeit die Neutralen in Englands Arme. England hat die Zeit für sich.

Darum gilt es heute, alle Kräfte unseres Volkes zusammenzufassen zu dem einen Ziel:

Rasche, rücksichtslose Niederkämpfung Englands

Nicht innenpolitische Absichten, Kriegsziele oder Sonderinteressen sind es, die uns Männer aller Richtungen zusammengeführt haben. Was wir wollen, ist lediglich dieses:

  1. Wir wollen unser Volk aufklären über die Gefahr, die ihm von einem unbesiegten England droht, damit sein Wille zum Durchhalten und Siegen sich stähle.
  2. Wir wollen heute schon alle seine Kräfte und Mittel mobil machen zur Abwehr des uns wirtschaftlich erdrosselnden Krieges nach dem Kriege.

Wer uns bei diesem Werke helfen will, verlange aufklärende Schriften.

Natürlich wurde in unseren internen Sitzungen kein Hehl daraus gemacht, dass, nachdem kaum eine Hoffnung vorhanden war, dass Bethmann Hollweg seine ewig schwankende und immer nur auf die Erhaltung der guten Laune der Sozialdemokratie gerichtete Politik ändern werde, nur ein Wechsel auf dem Reichskanzlerposten hier Wandel schaffen konnte. In der Öffentlichkeit konnte man Dergleichen nicht sagen, dafür sorgte schon die Zensur, die ja, so gut sie konnte, alles unterdrückte, was irgendwie nach einer Kritik an der Politik der Reichsregierung aussah. Die Münchner Zensurstelle tat sich dabei besonders hervor. Dort saß als Leiter Oberstleutnant Falkner von Sonnenburg[10], der sich gar keine sonderliche Mühe gab, nicht erkennen zu lassen, dass er mit der Sozialdemokratie unter einer Decke stecke. Aus den von mir zur Zensur eingereichten Artikeln konnte er sich leicht ein Bild machen über meine Meinung von der Politik seines Herren und Meisters Bethmann Hollweg. Oberstleutnant v. Sonnenburg machte als Erstes einmal den Versuch, mich mit Liebenswürdigkeiten zu ködern. Er lud mich wiederholt zu sich auf die Zensurstelle ein, regalierte mich mit Schnäpsen und Zigarren und wollte mir so ganz nebenbei die Politik Bethmann Hollwegs schmackhaft machen. Nachdem er die Erfolglosigkeit dieses Unternehmens eingesehen, hörten die Einladungen auf, und die Zensur der von mir eingereichten Sachen wurde dafür noch schikanöser und kleinlicher.

Der Nationalausschuss

Um die Mitte des Jahres 1916 tat sich mit dem Segen des Reichskanzlers der famose Wedel‘sche Nationalausschuss[11] auf, der als eine Stütze der allmählich brüchig werdenden Bethmannschen Politik gedacht war. Auch in München und gerade hier, wie sich denken läßt, mit ganz besonderer Absicht wandte sich dieser Ausschuss an die Öffentlichkeit. Das Ergebnis war kläglich, und als ich einen Bericht darüber bringen wollte, strich die Zensur alles, was darin über den schwachen Besuch gesagt war, und ebenso die Feststellung, dass der Hauptredner, der Historiker Erich Marcks, eigentlich gar nicht im Sinne des Nationalausschusses gesprochen hatte. Durch seine Streichungen brachte es der Zensor fertig, aus dem eingereichten Bericht ungefähr das Gegenteil von dem zu machen, was er in der ursprünglichen Fassung besagt hatte. Nach einigen Tagen machte ich noch den Versuch, eine Zuschrift, die mir ein Teilnehmer der Versammlung, nämlich Franz v. Bodelschwingh, der sie auch mit seinem Namen zu zeichnen bereit war, zugesandt hatte, durch die Zensur zu bringen. Ich brachte sie auch durch, aber wie sah sie aus! Alles Wesentliche darin war gestrichen, so dass ich darauf verzichtete, sie in diesem verfälschten Zustande wiederzugeben.

Die Audienz bei König Ludwig III

Um die gleiche Zeit, Anfang August 1916, war es auch, dass unser Kreis den Beschluss fasste, eine Abordnung zu König Ludwig III. zu schicken und ihm durch sie unsere Sorgen vortragen zu lassen. Die erbetene Audienz wurde vom König alsbald gewährt, und unter Führung unseres Vorsitzenden v. Gruber begab sich die Abordnung zum Monarchen. Die Abordnung war auch, wie die Herren uns nachher in vertraulicher Sitzung mitteilten, von dem Verlauf der Audienz und der Aufnahme, die sie beim König gefunden hatten, sehr befriedigt, umso mehr aber dann auch erstaunt und empört über die durch die Regierung an die Presse gegebene Mitteilung über die Audienz. Dieses hochoffiziöse Communiqué hatte den folgenden Wortlaut:

„Seine Majestät der König empfing heute Vormittag einhalbelf Uhr in Anwesenheit des Vorsitzenden im Ministerialrat, Staatsministers Dr. Grafen von Hertling, und des Kriegsministers, Generalobersten Frhn. Kreß v. Kressenstein, in gemeinsamer Audienz die folgenden Herren: Geheimen Rat Professor Dr. v. Gruber, Reichsrat Graf Preysing-Lichtenegg-Moos, Reichsrat Franz Buhl, die Landtagsabgeordneten Einhauser, Löwneck und Hübsch, die Reichstagsabgeordneten Dr. Pfleger und Weilnböck, Oberlandesgerichtsrat Rohrer, Kommerzienrat Seitz und Geheimen Kommerzienrat Fromm.

Geheimer Rat Professor Dr. V. Gruber verlas eine Adresse, in der er namens der zur Audienz Erschienenen deren Auffassung über die politisch-militärische Lage darlegte und ihre von patriotischer Sorge getragenen Wünsche vorbrachte. Seine Majestät der König mahnte in seiner Erwiderung zum Vertrauen in die verantwortlichen leitenden Stellen, da verständnisvolles einiges Zusammenwirken aller Stände und aller Parteien in so ernster Zeit unerlässlich sei, und warnte davor, Spaltungen in das deutsche Volk zu tragen, um nicht das Durchhalten bis zu einem ehrenvollen Frieden zu erschweren.“

Brief des Grafen Preysing

an den Ministerpräsidenten Grafen Hertling

Über diese unglaubliche Regierungsleistung, die nicht davor zurückscheute, die in Wahrheit überaus wohlwollende und verständnisvolle Stellungnahme des Königs zu den ihm vorgetragenen Sorgen der Audienzteilnehmer vor der Öffentlichkeit als eine förmliche Strafpredigt des Monarchen an die erschienenen Herren erscheinen zu lassen, geriet Reichsrat Graf Kaspar Preysing, der mit bei der Abordnung war, in solche Wut, dass er sich noch am gleichen Tage hinsetzte und folgenden Brief an den Ministerpräsidenten schrieb:

München, den 5. August 1916, 7 Uhr abends

An S. Exz. den Herrn Vorsitzenden im Ministerrat Grafen v. Hertling.

Ew. Exzellenz!

Die geneigte Aufmerksamkeit Ew. Exzellenz gestatte ich mir auf Folgendes hinzulenken:

Das heutige hochoffiziöse Communiqué, das an die gesamte Presse anlässlich der Audienz unserer Deputation hinausgegebenen wurde, ist nicht nur geeignet, irrige Auffassungen über den Verlauf und das Ergebnis der Audienz im ganzen Lande zu erwecken, sondern es bedeutet geradezu den Versuch, die Stellungnahme Seiner Majestät im Sinne einer Unterstützung der Politik des Reichskanzlers festzulegen.

Das Communiqué stellt sich damit nicht nur in Widerspruch zu der Tatsache, dass in der Audienz erstmals die Mitteilung von dem bevorstehenden Zusammentritt des BAfAA (Bundesratsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten) gemacht und damit der Hauptbitte unserer Adresse Erfüllung verheißen wurde, sondern vor allem auch zu der Tatsache, dass Ew. Exzellenz selbst Erläuterungen zu dieser Mitteilung gegeben haben, die keinen Zweifel darüber ließen, dass Ew. Exzellenz gesonnen seien, in dem BAfAA in der energischsten Weise vorzugehen.

Auch seine Majestät haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass beispielsweise in der Frage der Zensur unbedingt eine Änderung eintreten müsse, und sich bezüglich der militär-politischen Lage klar und eingehend dahin verbreitet, dass auch hier Seine Majestät unsere Sorgen vielfach teilen, und Seine Majestät hoben mehrfach hervor, dass hauptsächlich das „Wie“ in beiden Richtungen die Schwierigkeit bilde. Ich darf hierbei an die bemerkenswerten Ausführungen Seiner Majestät über die Machtlosigkeit der Bundesfürsten erinnern.

Angesichts dieser Tatsachen ist der offiziöse Schritt der kgl. Staatsregierung den Teilnehmern an der Audienz und, wie ich annehme, auch Ew. Exzellenz unverständlich.

Es entzieht sich meiner Kenntnis, welche Erwägungen ihn veranlasst haben. Ich versage mir auch, an dieser Stelle ein Urteil darüber abzugeben, ob und inwieweit dieser Schritt geeignet ist, die von Ew. Exzellenz in Aussicht gestellte Demarche beim Bundesrat in wirksamer Weise zu unterstützen.

Jedenfalls aber zwingt diese Stellungnahme des offiziösen Pressedienstes die Teilnehmer an der Audienz, sich alle jene Schritte vorzubehalten, die erforderlich sind, um die oben erwähnten irrigen Auffassungen zu zerstreuen.

Ich bin mit dem Ausdruck etc.“

Zweiter Brief Preysings an Hertling

Graf Preysing erhielt auf diesen Brief auch eine vom 11. August datierte Antwort des Grafen Hertling, die ihn aber wenig befriedigte und die er daher umgehend mit folgendem geharnischtem Schreiben erwiderte:

München, 17. August 1916

Seine Exzellenz dem Herrn Vorsitzenden im Ministerrat Grafen Hertling

Ew. Exzellenz!

Ew. Exzellenz Schreiben vom 11. dieses, in dem Ew. Exzellenz Stellung zu meinem Schreiben vom 5. dieses nahmen, habe ich infolge der Abreise erst jetzt erhalten.

Ich entnehme diesem Schreiben zu meinem außerordentlichen Bedauern, dass Ew. Exzellenz sich meiner Auffassung über die Tragweite des Communiqués vom 5. August nicht anschließen können, obwohl am 11. August die von mir vorausgesehenen Wirkungen dieses offiziösen Schrittes aus den Kundgebungen der Presse bereits erkennbar und bestätigt waren.

Wenn Ew. Exzellenz unter Berufung auf meine Königstreue der Erwartung Ausdruck geben, dass ich nichts unternehme, was die allerhöchste Stelle weiter in den Streit der Meinungen hineinziehen könnte, so muss ich Ew. Exzellenz erwidern, dass die allerhöchste Stelle gerade durch den offiziösen Pressedienst – ich erinnere an den Artikel der Staatszeitung zum Wilhelmshavener Königstelegramm – nun zum zweiten Male in diesen Streit geradezu hineingezerrt worden ist und weitere Verwirklichungen ausschließlich auf die oder den Urheber dieser staunen erregenden Ungeschicklichkeiten zurückfallen müssen. Was meine Person betrifft, so lehne ich es nicht nur für die Zukunft, sondern insbesondere jetzt d. h. für den Vorgang vom Abend des 5. August, zu dessen Rektifizierung[12] ich Ew. Exzellenz einen Spielraum von zehn Tagen gelassen hatte, ab, in offiziösen Communiqués mit Namen genannt und dabei in erläuternden Beisätzen einer Behandlung unterzogen zu werden, die dem Ansehen dieses alten Namens ebenso wenig entspricht wie dem Ehrgefühl und dem berechtigten Stolz seines derzeitigen Trägers.

Ich halte meine Auffassung über die wahrheitswidrigen offiziösen Behauptungen völlig aufrecht und würde es bedauern, wenn ich tatsächlich genötigt wäre, mich öffentlich gegen ein System zu wenden, dessen Charakter mir schwer fällt näher zu bezeichnen, für das Ew. Exzellenz aber dem Lande gegenüber verantwortlich bleiben.

Ich habe die Ehre etc.“

Graf Preysing spricht in seinem zweiten Briefe an Hertling – die Briefe sind in der Öffentlichkeit nie bekannt geworden – über einen Vorgang, der sich am Abend des 5. August 1916, dem Tage jener historischen Audienz, abgespielt hat. Um 7 Uhr abends an jenem Audienztage hat Graf Preysing seinen ersten Brief geschrieben, und da in diesem der Vorgang nicht erwähnt wird, so ist anzunehmen, dass er erst nachher d. h. noch später am Abend stattgefunden hat. Es kann sich dabei wohl nur um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen Preysing und Hertling gehandelt haben, von der nichts bekannt geworden ist. Denn in unserem Kreise hat Graf Preysing darüber meines Wissens nicht gesprochen. Und es muss eine sehr ernste Auseinandersetzung gewesen sein, wenn sie zwischen zwei im Allgemeinen sonst politisch und religiös auf gleicher Ebene stehenden Männer zu einer solchen Schärfe und Gereiztheit führen konnte, wie sie aus den Briefen Preysings und aus dem förmlichen Ultimatum, das er Hertling stellte, deutlich genug sprechen. Diese Auseinandersetzung lässt aber auch den Charakter Hertlings als Politiker in einem recht eigenartigen Lichte erscheinen, das eben so wenig wie sein ganzes Zusammenspiel mit Bethmann Hollweg geeignet sein dürfte, bei einer objektiven Geschichtsschreibung besondere Sympathien für diesen zwar listenreichen Parteiführer, aber wenig erfolgreichen Staatsmann zu erwecken. Die Behandlung der Audienzangelegenheit durch ihn macht jedenfalls einen direkten armseligen Eindruck und verrät auch nicht eine Spur von staatsmännischer Art und Gewandtheit, dafür aber andere weniger ansprechende Charaktereigenschaften. Wie sympathisch berührt dagegen gehalten die Gestalt des Grafen Preysing: eine Persönlichkeit von Format, mannhaft, aufrecht und gerade!

Der Volksausschuss selbst hatte natürlich das größte Interesse daran, gegenüber der irreführenden Darstellung der offiziösen „Correspondenz Hoffmann“ der Öffentlichkeit über die Audienz beim König eine den Tatsachen entsprechende Mitteilung zu machen. Zu diesem Zwecke wollte unsere Abordnung die folgende kurze sachliche Feststellung an die Presse geben:

Zum Empfang bei S. M. dem König von Bayern
Die Mitteilung der Correspondenz Hoffmann über die Audienz, die S. M. der König Ludwig von Bayern am 5. August 1916 den Unterzeichneten in Gnaden gewährt hat, hat in der Öffentlichkeit falschen Auffassungen über die Bestrebungen der vom König empfangenen Männer Raum gegeben und weiterhin unerquickliche Presseerörterungen nach sich gezogen.

Die Teilnehmer an der Audienz haben darauf gewartet, dass die königliche Staatsregierung durch eine neuerliche Erklärung die im Interesse der innern Einheit so sehr bedauerlichen ungerechtfertigten Auffassungen zurückweisen wird. Nachdem das nicht geschehen ist und die Polemik nicht zur Ruhe kommt, der Streit vielmehr immer weiter in das Gebiet der inneren Politik übergreift, sehen wir uns genötigt, in aller Kürze das festzustellen, was wir tatsächlich gewollt haben.

  1. Wir sind den durchaus loyalen und streng verfassungsmäßigen Weg zu unserem König gegangen, weil wir überzeugt waren von der Notwendigkeit einer Abkürzung des Krieges durch rücksichtslose Anwendung aller unserer Kampfmittel gegen England.
  2. Wir betonen die Unerlässlichkeit der Freiheit der Meinungsäußerung über diese wichtigste Kriegsaufgabe.

Auf diesen Grundanschauungen werden wir beharren. Nach diesen Grundsätzen werden wir weiterarbeiten und schon um des Willen, damit der von England bereits weitschauend und rücksichtslos eingeleitete Wirtschaftskampf der Entente gegen die Mittelmächte gleich in der Wurzel erstickt wird.

Alle Behauptungen der Presse und des sogenannten Deutschen Nationalausschusses, dass wir in der Audienz andere Bestrebungen verfolgt hätten: Förderung Alldeutscher Kriegsziele, Partikularismus, Reaktion, gehören in das Reich der Fabeln. Unser Bestreben war und bleibt, dass sich die Vaterlandfreunde aller Richtungen unter Zurückstellung aller Parteigegensätze, das sind alle Kräfte unseres Volkes, zusammenfinden in dem unerschütterlichen Willen zum entscheidenden Sieg.

Die Zensur gestattete nicht einmal die Veröffentlichung dieser gewiss nicht aggressiven Erklärung, dagegen durften in der sozialdemokratischen und der übrigen Bethmann-Presse die Männer unserer Abordnung wegen ihres Ganges zum König, ohne durch die Zensur gehindert zu werden, in der unerhörtesten Weise angegriffen und heruntergerissen werden, während uns der Mund verschlossen wurde. Ich selbst wollte in meiner Zeitung unsere Abordnung in Schutz nehmen in einem ruhig und sachlich gehaltenen Artikelchen folgenden Inhalts:

Sorgen

Die Männer, die es trotz vielfacher Anfeindung und Schwierigkeiten aller Art unternommen hatten, aus dem Gefühl der Mitverantwortlichkeit und der vaterländischen Pflicht die Gedanken und Sorgen weiter Kreise dem König vorzutragen, werden dafür in der sozialdemokratischen und dem mit ihr in ein Horn blasenden Teil der bürgerlichen Presse in einer Weise angegriffen, heruntergerissen und verhöhnt, welche schon aus Gründen des Anstandes und der Reinlichkeit eine entsprechende Erwiderung schwer machen würde, auch wenn eine solche Erwiderung sonst möglich wäre. Die Angegriffenen sind schutzlos allen Anwürfen ihrer Gegner preisgegeben, die nur mit billigem Hohn und Spott und mit unbewiesenen und unbeweisbaren Behauptungen und zum Teil sogar Entstellungen arbeiten und sachlichen Erwägungen und sachlichen Gründen überall geflissentlich aus dem Wege gehen. So ließe sich z. B. über den Verlauf der Audienz beim König mancherlei sagen, was erheblich anders klänge als das bisher Gehörte – wenn es sich eben sagen ließe.

Man kann heute nur eines von Herzen wünschen: Möge nie eine Zeit kommen, in der die in jener jetzt so viel erörterten Audienz vorgetragenen Sorgen und Zweifel sich als gerechtfertigt erweisen könnten. Denn der Irrtum müsste inzwischen mit solchen Strömen kostbaren Blutes bezahlt werden, dass wir auch unserm schlimmsten Feinde nicht wünschen möchten, die furchtbare Verantwortung dafür auf sich nehmen zu müssen.

Statt sie mit Hohn und Spott zu übergießen, sollte man es aufrechten deutschen Männern danken, wenn sie in drückender Sorge um des Vaterlandes Schicksal zur rechten Zeit reden. Wohlgemerkt: zur rechten Zeit. Denn hinterher, wenn es zu spät ist, ist auch jedes Wort der Kritik wertlos, weil das Geschehene nicht mehr ungeschehen und, was tot ist, nicht mehr lebendig gemacht werden kann.

Alle in dem Artikel von mir unterstrichenen Stellen wurden vom Rotstift des Zensors ausgemerzt, womit die Veröffentlichung wertlos geworden war und von mir unterlassen wurde.[13] Die „Goslarer Zeitung“, die sich in ihrem Generalkommandobereich ausnahmsweise einer in politischer Hinsicht sehr milden Zensur erfreute und die daher Manches drucken konnte, was anderweitig unmöglich war, brachte zum Empfang unserer Abordnung beim König den folgenden Artikel:

Beim König von Bayern
Für jeden politisch einigermaßen Unterrichteten war es klar, dass sich die wüste Schimpfrede, die die „Bayerische Staatszeitung“ im Anschluss an den Telegrammwechsel zwischen dem König von Bayern und dem Kaiser gegen „Besserwisser“ und „Besserkönner“ losließ, gegen jene Persönlichkeiten richtete, die der König Ludwig von Bayern am Sonnabendvormittag in Audienz empfangen hat. Dass bei einem solchen wichtigen und hochpolitischen Empfang der Ministerpräsident und der Kriegsminister zugegen waren, ist selbstverständlich, aber die einfache Tatsache des Empfangs dieser Persönlichkeiten ist ein Beweis, dass der König von Bayern sich nicht auf den Boden der Auslassungen der „Bayerischen Staatszeitung“ des Grafen v. Hertling gestellt hat. In diesem Artikel der Bayerischen Staatszeitung hieß es bekanntlich:

„Wir verbitten uns deshalb in solcher Zeit eine Agitation, die auf falsche oder ungenügende und oft in recht bedenklicher Weise erworbene Informationen gestützt bei ihrer Kritik Verleumdungen und Verdächtigungen niedrigster Art gegen unsere an leitender Stelle berufenen Staatsmänner geflissentlich verbreitet. Wir verbitten uns solche Machenschaften, denen häufig auch verborgen gehaltene Motive zu Grunde liegen, Machenschaften, die bisher nicht in deutschen Landen heimisch gewesen sind und die wir auch in Zukunft dem friedlichen Auslande überlassen wollen. Wir verbitten uns in Deutschland Umtriebe und Intrigen, deren Erfolg nur von unseren Feinden mit freudiger Spannung erwartet wird.“

König Ludwig von Bayern hat sich also das nationale Wirken der genannten Persönlichkeiten nicht verbeten, er hält dieses Wirken nicht für Machenschaften, nicht für Umtriebe und Intrigen, er hält diese Persönlichkeiten nicht für Verleumder, im Gegenteil, er hat sie in Gegenwart seines Ministerpräsidenten, der sich in Schmähreden die nationale Tätigkeit dieser Persönlichkeiten verbeten hatte, in Audienz empfangen, und er hatte den Wunsch, die von dem Sprecher der Abordnung verlesene Adresse anzuhören. Und die amtliche „Correspondenz Hoffmann“ ist gezwungen, mitzuteilen, dass in dieser Adresse die Erschienenen ihre Auffassung über die politische und militärische Lage dargelegt, und die amtliche Correspondenz ist weiterhin gezwungen festzustellen, dass die von den Erschienenen vorgebrachten Wünsche von patriotischer Sorge getragen seien. Darin liegt für jeden die Dinge Klarsehenden eine Desavouierung der vom Ministerpräsidenten Grafen v.Hertling veranlassten Ausführungen der Bayerischen Staatszeitung durch den König. Dass der König in seiner Erwiderung auf die Adresse zum Vertrauen mahnte, da ein verständnisvolles und einiges Zusammenwirken aller Stände und aller Parteien in so ernster Zeit unerlässlich sei, ist so selbstverständlich, dass es hierüber keiner weiteren Worte bedarf, ebenso wie es selbstverständlich ist, dass der König davor warnte, Spaltungen in das deutsche Volk zu tragen. Niemand von den beim König von Bayern in Audienz Erschienenen wird solche Absichten hegen. Sie alle sind nur von ernster patriotischer Sorge um ihr Vaterland erfüllt.

Man wird es in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes dem König von Bayern zu danken wissen, da er diesen Persönlichkeiten Zutritt in die Residenz gestattete und die Begründung ihrer Auffassung von der politischen und militärischen Lage entgegennahm. Viele vaterländischen Sorgen des deutschen Volkes würden von ihrem Ernst verlieren, wenn auch der deutsche Kaiser einmal die Führer jener fast den einmütigen Volkswillen vertretenden Richtungen bei sich sehen und anhören würde, die, wie dort in Bayern, so hier im Reiche von patriotischer Sorge erfüllt sind. Die Berater des Kaisers haben den Dolmetschern der ernsten Sorge des Volkes den Weg zum Kaiser freizugeben, wie es in Bayern geschah.

Mir wurde der Nachdruck dieses Artikels in München von der Zensur natürlich glatt verboten. So war also verhältnismäßig recht bescheiden, was man öffentlich durch die Presse für die Sache des Vaterlandes tun konnte.

Dass man scharfe, eine deutliche Sprache führende oder gar, wie mir der Vorwurf gemacht wurde, „hetzerische“ Artikel hätte veröffentlichen können, daran war schon mit Rücksicht auf die Zensur nicht zu denken. Man konnte in der Hauptsache nur indirekt wirken, indem man dem ganzen Inhalt der Zeitung ohne Aufdringlichkeit, aber konsequent eine einheitliche, gleichbleibende Tendenz gab.

Das tat ich in meiner Zeitung, so gut es eben ging. Daneben unterbreitete ich der Zensur immer wieder Artikel, die einmal schärfer, einmal milder, stets aber fest und bestimmt in derselben Richtung gingen.  Wenn sie nicht ganz verboten wurden, was oft genug der Fall war, so verfiel doch die Hauptsache der Streichung, aber was übrig blieb, ließ, wenn auch nicht stets, so doch oft wenigstens die Tendenz noch erkennen und tat so bei der nicht von uns erzeugten, sondern in den weitesten Kreisen sowieso schon längst vorhandenen Stimmung seine Wirkung. Hunderte von Zuschriften, die von allen Seiten bei uns eingingen, bestätigten mir das. Eine kleine Auswahl mag hier auch dem Leser das zeigen. Frhr. v. Gebsattel auf Gebsattel[14] bei Rothenburg o. d. Tauber schrieb z. B. unter dem 9. August 1916 u.a. an den Verleger Lehmann, der mir den Brief zuleitete: „Die „Münchner Neuesten Nachrichten“[15] verfahren in ihrem Aufsatz über die „Kanzlerhetze“ wohl nach dem Grundsatz: calumniare audacter, semper aliquid haeret[16]! Es ist wohl nicht möglich, dass die „München-Augsburger Abendzeitung“, die ich von Tag zu Tag lieber gewinne, ihnen entgegentritt? Jedenfalls sollten wir alles tun, um die letztere an die Stelle und in den Einfluss der Neuesten Nachrichten zu bringen.“ Professor Dr. Hans Frhr. v. Liebig hatte schon im April 1916 in einem Briefe an mich gesagt:

„Als Leser Ihrer Zeitung freue ich mich oft über die guten Aufsätze nicht nur Ihrer Zeitung, sondern auch über die, welche Sie andern entnehmen.“ Und in einem Briefe vom 24. Juli 1916 schrieb er:

„Die Haltung Ihres Blattes in den letzten Wochen ist ausgezeichnet.“

Ein bekannter Münchner Notar Dr. D. richtete unter dem 14. Juli 1916 an die Redaktion einen Brief, in dem es u. a. heißt:

„Wollen Sie zu Ihrem Artikel „Sentimentalität“ in Ihrer heutigen Abendausgabe den Ausdruck meiner herzlichsten Freude entgegennehmen. Das sind doch Worte, die jedem Vaterlandsfreund aus der Seele gesprochen sein müssen. Die Deutschen werden ihr altes Erbübel doch gar nie los. Auch die schwerste Zeit scheint da keine Besserung und Wandlung herbeizuführen. Es ist tief traurig, dass es da gar nicht anders werden soll.

Und darum berühren Ihre Ausführungen doppelt erhebend und freudig, möchten sie allenthalben Widerhall erwecken und zur endlichen Stärkung des Selbstgefühls der Deutschen und insbesondere unserer Regierung beitragen.

Mit treffenden Worten haben Sie die Laxheit unserer Regierung dem neutralen Ausland gegenüber gegeißelt. Wie soll es aber bei uns besser werden, wenn „von oben“ so schlechte Beispiele gegeben werden.

Es sollten sich wirklich alle zusammentun, um der Regierung das Rückgrat zu steifen. Es gibt ihrer genug, die darüber unmutig sind, und darum dürfen Sie mit dem Artikel der Zustimmung und des Beifalls Vieler gewiss sein.“

Der Leiter einer Münchner Kuranstalt Dr. R. sagte in einem Briefe vom 15. Juli 1916:

„Es drängt mich, Ihnen herzlich zu danken für die entschiedene Wendung zur offenen Behandlung unserer Zukunftsfragen im deutschen Sinne, mit der Sie mich und wohl viele Tausende Ihrer Leser in jüngster Zeit erfreut haben und hoffentlich noch viel mehr Tausenden auf den richtigen Weg helfen, denen bisher noch die dicke Binde vor den Augen sitzt. An Stoff fehlt es leider Gottes nicht, ich denke es mir herrlich, in der heutigen Lage des Vaterlandes Ihre Macht in Händen zu haben und sie zum Heile Deutschlands oder richtiger gesagt zu seiner Heilung gebrauchen zu können.“

Von unserer Macht hatte ja nun Herr Dr. R. nicht ganz die richtige Vorstellung. Aber die Leute hatten ja vielfach keine Ahnung davon, dass noch ein Mächtigerer, nämlich der Zensor, über uns saß und uns vorschrieb, was zum Besten des Vaterlandes gesagt werden durfte und was nicht. Ein anderer Münchner Leser M. R. äußerte sich unter dem 16. Juli 1916 wie folgt:

„Ich kann nicht umhin, Ihnen zu dem heutigen Artikel über den neuen „Nationalausschuss“ meinen Glückwunsch auszusprechen. Endlich wird damit auch in München einmal in den Nabel hineingeleuchtet, mit dem das Volk seit Wochen systematisch umdämmert werden soll und der doch dessen natürlichem Empfinden so sehr zuwider ist. Wie das Volk d. h. die eigentliche Bürgerschaft bis weit in die linkesten Kreise hinein über eine unverständliche Schonung unserer Westgegner besonders England in Wirklichkeit denkt, das ist in der Freitagsveranstaltung im Löwenbräukeller[17] elementar zum Ausdruck gekommen. Das Volk hat für diese Dinge instinktiv das richtige Empfinden, und es ist einfach nicht wahr, wenn die „Münchner Post“, das „Berliner Tageblatt“, die „Frankfurter Zeitung“ oder auch ihre Münchner Nachbeter sich herausnehmen, ihre durchsichtigen Miesmachereien schlechthin als die Meinung des „Volkes“ oder wenigstens der überwiegenden Mehrheit hinzustellen. In den maßgebenden“ regierenden Kreisen fühlt man das auch offenbar. Daher die Gründung des famosen „Nationalausschusses“, der mit Hilfe einiger klangvoller Namen dort nachhelfen soll, wo die Bemühungen einer gewissen Presse schon grundsätzlich auf Misstrauen stoßen. Von diesem Gesichtspunkte aus verdient die Tätigkeit dieses Ausschusses alle Beachtung. Und nicht nur Beachtung, sondern auch rasche und gut organisierte Gegenmaßnahmen. Vor allem aber unablässige und rücksichtslose Aufdeckung und Zurückweisung seiner volksschädlichen Tendenz in der wirklich deutschen Presse. Dass die M.-A. Abendzeitung als eine der ersten in diesem Sinne ihren alten guten Ruf wahrnimmt, das hat mich gefreut. Nur furchtlos so weiter! Sie werden damit im Sinne von mehr Leuten handeln, als Sie glauben.“

Ein Ingolstädter Fabrikant (20. Juli 1916): „Es drängt mich, Ihnen sofort von ganzem Herzen zu danken für Ihre Mitteilungen und Bemerkungen über den „Nationalausschuss“. Sie haben damit für die Einsichtigen im Vaterlande den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie sollen auch den Dank Ihrer Leser ernten.“

Dr. Brendel aus München schrieb mir am 24. Juli 1916 aus Traunstein: „Ihr Blatt ist mir ein wahres Labsal durch die vorzügliche Redaktion als solche und mehr noch durch die tadellose, aufrechte Gesinnungstüchtigkeit, zu der Sie sich in stets wachsender Klarheit und Entschiedenheit bekennen. Im Gegensatz zu so viel Erbärmlichkeit und Schwäche im politischen Leben oben, in der Mitte und unten, zu so viel „Mimikry“, Anpassungsfähigkeit an die Winke von oben, dass man am guten Ende des Riesenkampfes fast verzweifeln möchte. Ihr Leserkreis ist der führende südlich des Mains. Wird auch diesem die entmannende Kost nach dem Geschmack der maßgebenden Kreise gereicht, gehen wir sicher als besiegte Sieger zugrunde. Als alter, steinalter Patriot danke ich Ihnen von vollem Herzen, obwohl, was Sie tun, ja nur Ihre verd… Pflicht und Schuldigkeit ist. Aber Ihre Stimme soll eben von den Erbärmlichen erstickt werden. Umso mehr Freude werden Sie aber sich erwerben, und zu einem Ihrer eifrigsten und treuesten bitte ich zu zählen Ihren

hochachtungsvoll und dankbar ergebenen Leser, Dr. C. Br.

Kitcheners Tod

In einem Postskriptum machte mir Dr. Brendel bei dieser Gelegenheit die folgende, historisch vielleicht nicht ganz nebensächliche Mitteilung:

„Am Pfingstsonntag habe ich in Ihren Briefkasten – weil alles bei Ihnen verschlossen war – die Nachricht geworfen, dass die „Hampshire“ mit Kitchener von einem unserer U-Boote torpediert wurde. Sein Kommandant ist Kurt Beitzen von Hildesheim, naher Vetter von mir. Die Zensur wird wohl die Nachricht zu verbreiten verboten haben. Denken wir uns den Fall, den Engländern wäre es gelungen, ein deutsches Kriegsschiff mit Falkenhayn oder Hindenburg an Bord vor Kiel auf der Fahrt nach Stockholm zu versenken, würde sich John Bull das Maul verbinden lassen? Wer würde das wagen?“

Die Behandlung der Versenkung der „Hampshire“ in Deutschland war tatsächlich eine sehr seltsame, passte freilich ganz zu der ewigen Sorge Bethmanns, nur ja England nicht zu reizen. Auf der britischen Admiralität neigte man zu der Auffassung, dass der Kreuzer auf eine Mine gelaufen wäre. Im November 1916 wurde dann im Stavangerfjord eine Flaschenpost gefunden mit einem Zettel, auf dem u. a. stand: „S.M.S. „Hampshire“ wurden zweimal torpediert und hatten nicht Zeit wieder zu feuern, ehe das U-Boot verschwand und wir sanken.“ Deutscherseits ist meines Wissens überhaupt zu der Angelegenheit nicht Stellung genommen worden. Die Engländer hatten natürlich auch keinen Grund, die Torpedierung offen zuzugeben, ihnen, die sich damals immer noch als die Alleinbeherrscher der Meere fühlten, war die Minenversion sympathischer, und deutscherseits ließ man sie dabei, um sie nicht zu reizen. Man hatte sie ja doch mit der Skagerakschlacht schon genug gereizt. Generalleutnant z. D. A. Cella gab seiner Freude über die Äußerungen eines Feldgrauen über den Nationalausschuss als Ausdruck:

„Der köstliche, gesalzene Artikel eines Feldgrauen über die herrschende Epidemie von Friedensausschüssen aller Art, hat sicher bei sehr Vielen helle Freude ausgelöst.“

Viele Feldpostbriefe und -karten drückten mir außerdem die freudige Zustimmung der Leute von Draußen zu den Ausführungen ihres Kameraden aus. Ungefähr um dieselbe Zeit schrieb mir ein in Reichenhall zur Kur weilender Berliner Geschäftsmann A. B.:

„Mit großem Interesse lese ich hier Ihre vorzüglich geschriebene, durch ihre Art inhaltliche Zeitung.“

Der Verlagsinhaber der „Ärztlichen Rundschau“, Otto Gmelin, sagte in einem längeren Briefe vom 7. 9. 1916, in dem er mir allerhand ganz gute Vorschläge machte, deren Übersetzung in die Tat aber leider die Zensur ganz und gar nicht gewürdigt haben würde:

„Ihre Zeitung ist die einzige in ganz Süddeutschland, die wirklich Charakter und festen Willen hat und ein festes Ziel verfolgt ohne das elende „einerseits-andererseits“ anderer allerweltsliberaler Organ, die stets den Mantel nach dem Winde hängen.“

Der Lauinger Seminarlehrer Dr. Theol. D. Wolf schrieb im Oktober 1916:

„Einem Herzensbedürfnis entspreche ich, wenn ich Ihnen meine volle Anerkennung auszusprechen mir erlaube für die charaktervolle, vornehme, aber doch zielbewusste Art, wie Sie in echt deutscher Gesinnung die Fragen der äußeren Politik, insbesondere gegen England, unerschrocken behandeln.

Beiträge zur Beleuchtung der Bethmann-Politik

Professor Paul Nikolaus Coßmann, der Herausgeber der „Süddeutschen Monatshefte“, der zu den Mitgliedern unseres Kreises zählte und später im dritten Reiche als Jude verfolgt wurde, übergab uns unter dem 22. Juli 1916 die folgende schriftliche Mitteilung:

„Professor Veit Valentin, Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, der gestern bei mir war, sagte in Gegenwart von Herrn Th. Heuß, München, Mandelstr. 3a, der Reichskanzler werde falsch beurteilt, er sei ein wirklicher Politiker, ehrgeizig, skrupellos, energisch und schrecke vor keinem Mittel zurück. Ferner sagte er, das Auswärtige Amt habe durch einen Diebstahl im Reichsmarineamt festgestellt, dass die von Tirpitz angegebenen Zahlen der versenkten Frachträume zu hoch gewesen seien. Die durch den Diebstahl festgestellten wirklichen Zahlen hätten mit den späterhin von Capelle angegebenen Zahlen gestimmt. Tirpitz stehe auf dem Standpunkt: „Ehrlos ist das Volk, das nicht sein Alles setzt an seine Ehre.“ Er, Valentin, stehe auf dem Standpunkt, es gebe eine persönliche Ehre, aber keine Volksehre. Der Kanzler habe ihm gesagt: „Wenn wir Belgien seinen König wiedergeben und es wiederherstellen, kann ich jeden Tag Frieden mit England machen.“ Sein Plan sei Erweiterung im Osten (Kurland und ein Teil von Polen), Belgien herausgeben, mittelafrikanisches Kolonialreich. Das alles könnten wir haben, wenn die englische Offensive endgültig gescheitert sei.

Die obigen Punkte wiederholte ich gestern Abend im Gespräch mit Herrn Geheimrat Marcks, welchem Professor Valentin beiwohnte.“

Wenn dieser unmögliche Bethmann Hollweg den Frieden mit England so leicht und jeden Tag hätte haben können, warum hat er denn diesen Frieden dann nicht geschlossen? Er war doch als Reichskanzler der dazu berufene Mann, und seine Aufgabe war es, seinem Kaiser und dem deutschen Volke die Notwendigkeit eines solchen Friedens klar zu machen. Das deutsche Volk wäre ihm sicher dankbar dafür gewesen, und selbst der Volksausschuss zur Niederkämpfung Englands hätte kaum etwas dagegen gehabt. Das Kunststück für die deutsche Politik im Kriege bestand ja darin, nach irgendeiner Seite hin durch einen Sonderfrieden Luft zu schaffen und zwar rechtzeitig, bevor unsere allmähliche Erschöpfung, die den Feinden ja nicht verborgen blieb und bleiben konnte, diese zur Fortsetzung des Krieges geradezu ermutigen musste.

Wenn der Kanzler das, was Valentin ihm hier in den Mund gelegt, wirklich gesagt hat, – und daran ist wohl kaum zu zweifeln – dann darf man schon sagen, dass Bethmann Hollweg unbedingt nicht der Mann war, der auch nur entfernt die Fähigkeiten besessen hätte, den ersten Weltkrieg politisch zu einem glücklichen Ende für uns zu führen. Ja, wenn man seine politischen Taten vor, bei und nach Abbruch des Krieges bis zu seiner Absetzung Revue passieren lässt, gewinnt man fast unwillkürlich den Eindruck, dass er sein Verhalten kaum zweckmäßiger hätte einrichten können, so er es darauf hätte anlegen wollen, zu verhindern, dass Deutschland den Krieg gewinne. Man denke sich nur einen deutschen Reichskanzler, der in der zweiten Hälfte des Jahres 1916 noch einen für uns erträglichen Frieden mit einem unbesiegten England ernsthaft für möglich hält, der selbst nach zwei Kriegsjahren noch nicht dahinter gekommen ist, worum es England bei diesem von ihm angezettelten Spiel eigentlich ging.

Denkschrift des Professors Coßmann

Am 4. August 1916 richtete Professor Coßmann eine Denkschrift über die Handhabung der Zensur an das kgl. bayer. Kriegsministerium. Darin führte er aus:

„Es sind ausschließlich schwere sachliche Bedenken, die mich in der gegenwärtigen, von einem kleinen, mir zum Teil persönlich bekannten Kreis geleiteten Berliner Zensur eine der schwersten Gefährdungen der deutschen Kriegsführung erblicken lassen.“

In der Verfügung des k. Kriegsministeriums vom 11. Juli d. J. wird darauf hingewiesen, dass nach Berichten „unserer Vertreter und Freunde“ im Auslande dort „die Nachrichten von der gegenwärtigen Befehdung der deutschen Presse und Parteien“ einen ungünstigen Eindruck machen. Schon diese Ansicht, über die ich mir als Publizist glaube ein Urteil erlauben zu dürfen, zeigt, wie ungeeignet die Vertrauensleute der deutschen Regierung im Auslande für die Beurteilung publizistischer Fragen sind. Jeder Fachmann weiß, dass

  1. die Nachrichten der feindlichen und feindlich gesinnten neutralen Presse nicht abhängig sind von den tatsächlichen Vorkommnissen in Deutschland, dass
  2. die Spionage in Deutschland während des Krieges so ausgebildet ist, dass Presseäußerungen für keinen Politiker des Auslandes maßgebend sind.

Dadurch, dass die Berliner Regierung von Kriegsausbruch an keinen Unterschied zwischen der nationalgesinnten und der antinational gesinnten deutschen Publizistik gemacht, beiden gleichmäßig Verfügungen und vertrauliche Mitteilungen hat zugehen lassen, ist dem Auslande Umfang und Art der deutschen Zensur fast seit Kriegsausbruch bekannt. Die nationalgesinnte Presse hatte bei Kriegsausbruch keinen anderen Wunsch, als sich Mann für Mann hinter die deutsche Regierung zu stellen und unter deren Führung für die gemeinsame Sache zu arbeiten. Von dieser Gesinnung und den sich aus ihr ergebenden Vorteilen hat die Regierung niemals Gebrauch gemacht. Sie hätte z. B. sonst eine ganze Reihe der erwähnten Vertrauensleute längst entfernt.

Während des Krieges war Vertrauensmann des Auswärtigen Amtes in Basel Professor Robert Michels, geborener Deutscher, der in Turin die italienische Staatangehörigkeit erworben hat. Wie zahlreiche Fachleute der Regierung hätten beweisen können, stammt ein beträchtlicher Teil der in Italien und in der italienischen Schweiz zum Krieg gegen Deutschland aufhetzenden Artikel von diesem selben Professor Robert Michels. Es bedurfte dieses Protestes der deutschen Professoren der Universität Basel, um diesen Vertrauensmann zu entfernen. Wie das Mitglied der k. bayerischen Akademie der Wissenschaften, Professor Robert Davidsohn, bekanntlich einer der besten Kenner Italiens, bestätigen kann, ist Michels eine Persönlichkeit, die auch vom Standpunkt persönlicher Ehrenhaftigkeit nicht einwandfrei ist. Ich erwähne gerade diesen Vertrauensmann, weil meine Zeitschrift sich die Aufklärung über die italienischen Verhältnisse stets zur besonderen Aufgabe gemacht hat. Schon im Jahre 1912 brachte sie viel beachtete Aufsätze „Das Verbrechen der Dreibundserneuerung“ usw., die den Beweis erbrachten, dass ein Eintreten Italiens auf Seiten Österreichs gegen Frankreich vollständig ausgeschlossen sei, dass damals bereits ein maritimes Abkommen zwischen Italien, Frankreich und England bestand. Diese Aufsätze wurden in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung als völlig unbegründet zurückgewiesen, und dass die Norddeutsche Allgemeine Zeitung damit die wirkliche Ansicht der Reichsregierung aussprach, geht unter vielem anderen schon daraus hervor, dass der dem Herrn Reichskanzler so nahestehende Wirkliche Legationsrat Riezler mir bei unserem letzten Zusammentreffen vor dem Kriege – wenn ich nicht irre, im Frühjahr 1914 – sagte: „Mit den Aufsätzen über Italien sind Sie damals hereingelegt worden, das italienische Bündnis ist fester denn je.“ Auch während des Krieges sind unsere Informationen, die der Regierung manches wertvolle Material hätte liefern können, stets unbeachtet geblieben, weil sie dem Herrn Reichskanzler und dem Herrn Staatssekretär des Äußern unbequem waren.

In Schweden, zu welchem wir besonders viel wichtige Verbindungen haben, ist unter den führenden Männern der deutschfreundlichen Gruppen nur eine Stimme darüber, dass die Wirksamkeit des dortigen Gesandten v. Lucius (von Stoedten, Hrsg.) das deutschfeindliche Ministerium Wallenberg gestützt und damit die Befestigung der Aalands-Inseln d. h. die ungestörte Munitionszufuhr nach Russland durch den finnischen Meerbusen gesichert hat. Minister Wallenberg ist, wie jedermann in Schweden weiß, beteiligt an der Anglo-Skandinavischen Bank in England, an der Diesel-Motoren-Gesellschaft, der Schwedischen Telephon-Gesellschaft und der Donasowischen Bank in Russland und hat vor nicht langer Zeit in Paris die Franko-Skandinavische Bank mitbegründet. Wallenbergs Bruder ist Direktor der Stockholms-Enschilder Bank, bei der Wallenberg selbst mit mehreren Millionen beteiligt ist und die die gesamten Zahlungen des Transitverkehres zwischen England und Russland vermittelt. Der intime Freund Wallenbergs, des erklärten Vertreters der Entente-Politik, ist der deutsche Gesandte v. Lucius. Wie jeder deutschfreundliche Schwede dem k. Kriegsministerium bestätigen wird, gehen wir durch die Freundschaft Wallenbergs mit Lucius unserer Abschließung nach Norden entgegen, wenn auch gegenwärtig noch einige Waren nach Deutschland hereingelassen werden, und gehen wir ferner entgegen der völligen Sicherung und Organisation aller atlantischen Einfuhr nach Russland. Unser Mitarbeiter Dr. Friedrich Stieve, Sohn des verstorbenen Professors an der Münchner Technischen Hochschule, der zuerst in unserm Auftrage nach den nordischen Staaten reiste, um dort unser skandinavisches Heft zusammenzustellen, bei dieser Gelegenheit von der deutschen Gesandtschaft gebeten wurde, seinen Wohnsitz während des Krieges nach Stockholm zu verlegen und gegenwärtig im Auftrage des Auswärtigen Amtes in Stockholm weilt, ist unter den gegenwärtigen Zensurverhältnissen nicht in der Lage, sich über diese Verhältnisse zu äußern. Diese Verhältnisse sind aber nicht nur allen Korrespondenten deutscher Blätter, sondern auch dem Herrn Unterstaatssekretär Zimmermann, also demjenigen Beamten der Auswärtigen Amtes, der die skandinavische Sparte zu bearbeiten hat, genau genannt, ohne dass er in der Lage wäre, gegenüber dem Herrn v. Lucius gleichgesinnten Staatssekretär v. Jagow die Abberufung unseres Stockholmer Vertreters zu bewirken.

In gleicher Weise wurde vor dem Kriege und werden noch jetzt in Aegypten die deutschen Interessen mit Füßen getreten. Der als Hauptmann beim k. b. i. Feldart.-Reg. 4. Erstz.-Batt. stehende Baron v. Falkenhauser wurde als deutscher Konsul in Kairo in Gegenwart von Franzosen und Engländern höhnisch als „teutscher Konsul“ durch den deutschen Gesandten v. Miquel bezeichnet. Hierfür sowie für die hochverdienstlichen Tätigkeit Baron v. Falkenhausers könnte der zur Zeit als Militärarzt hier tätige Direktor des deutschen Krankenhauses in Kairo, Dr. Zeller, Schwiegersohn von Geheimrat Thiersch, jederzeit Beweis erbringen. Alle diese Erfahrungen sind, völlig nutzlos, wenn sie aus Bayern kommen, da ein kleiner Berliner Kreis, zum Teil aus ganz jungen Leuten bestehend, mit Hilfe der Militärgewalt die deutsche öffentliche Meinung beherrscht. Bei Ausbruch des Krieges wurde uns mitgeteilt, daß das k. bayer. Kriegsministerium unsere Zensur übernommen habe, und des Genaueren angegeben, welche Gegenstände unter die Zensur fallen. Es handelte sich damals wesentlich um militärische Gegenstände wie Truppenbewegungen und dergl. Im Laufe des Krieges kamen

  1. solche Gegenstände immer weniger in Betracht und hat sich
  2. die Presse soweit eingearbeitet, dass sie im Großen und Ganzen wusste, welche Gegenstände aus militärischen Gründen nicht gebracht werden können oder zuerst vorgelegt werden müssen.

Die eigentliche Zensur nahm immer ausschließlicher eine Richtung auf das Politische, und ich spreche ein offenes Geheimnis aus, für welches ich die Herren des k. bayer. Kriegsministeriums zu Zeugen anrufe, wenn ich sage: Jetzt dient die Zensur fast ausschließlich dem Zweck, die Aussprache von Tatsachen zu verhindern, die den Leser zu einer anderen Stellungnahme gegenüber dem Auswärtigen Amt und dem Herrn Reichskanzler und zwar auch in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident führen könnten als zu einem Vertrauen, wie es m. E. nur Gott und überhaupt keine menschliche Instanz beanspruchen kann. Die beteiligten Herren werden bestätigen, dass auch die Herabsetzung unserer Waffen, insbesondere der für einen Offensivkrieg gegen England in Betracht kommenden, unter den gegenwärtigen Bestimmungen eher möglich ist als eine Kritik am Reichskanzler.

Mein Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des gegenwärtigen Zustandes wird wesentlich dadurch bestärkt, dass, wie ich bestimmt weiß, preußische Zivilministerien Einfluss auf die Oberzensur, also auf die oberste Instanz auch für Bayern, genommen haben. Als bekannt darf ich voraussetzen, dass auch eine Rede Seiner Majestät des Königs von Bayern auf der Tagung des Bayerischen Kanalvereins nicht nur für die preußische, sondern auch für die bayerische Presse verboten wurde.

Ich bin nicht Jurist, kann mir aber nicht vorstellen, dass der gegenwärtige Zustand der Verfassung des Deutschen Reiches und dem Vertrag betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Reiches entspricht. Es würde wohl zweifellos den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, dass die Zensur während des Krieges der Obersten Heeresleitung, nicht aber dass sie dem Reichskanzler unterstellt ist und, wie dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Fall ist, zum Teil von Gesichtspunkten der inneren Politik Preußens geleitet wird. Das k. Kriegsministerium weiß jedenfalls besser als ich, wie die Oberste Heeresleitung die Verzögerung der Mobilmachung durch den Herrn Reichskanzler in den letzten Julitagen 1914 beurteilt. Aus Eigenem, da ich während des Krieges mit manchen der deutschen Heerführer in Verbindung gekommen bin, kann ich vermuten, dass die Oberste Heeresleitung die gegenwärtigen Zensurverhältnisse als der Kriegsführung abträglich beurteilt. Generalstabschef v. Falkenhayn hat dies ja in einer Depesche an den Deutschen Zeitungsverlegerverein sogar zum öffentlichen Ausdruck gebracht. Wir haben also den Zustand, dass aus der obersten Kommandogewalt des Kaisers während des Krieges eine Ausschaltung der maßgebenden militärischen Stellen zugunsten der Reichskanzlei und des Auswärtigen Amtes gefolgert wird.

Dem k. Kriegsministerium ist wohl bekannt, dass gerade unsere Zeitschrift während des Krieges in vielfache Berührung mit verschiedenen Reichsämtern gekommen ist. Ich spreche also als jemand, der die Anschauungen der Berliner Regierung über die Aufgaben der Presse aus eigenster Erfahrung kennt. Neuerdings haben aber die Beeinflussungsversuche eine Form angenommen, dass es geboten erscheint, sie den zuständigen Stellen mitzuteilen. Am 21. Juli besuchte mich der Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes Professor Valentin, der mit der zuerst meinem Mitherausgeber Karl Alexander v. Müller angetragenen Arbeit betraut ist, ein Werk zur Rechtfertigung der Reichspolitik zu schreiben. Professor Valentin unterrichtete mich, Staatssekretär v. Tirpitz habe bezüglich der von unseren Unterseebooten versenkten Frachträume falsche Zahlen angegeben. Das Auswärtige Amt habe durch einen Diebstahl im Reichsmarineamt die richtigen Zahlen festgestellt, die mit den späterhin durch Staatssekretär Capelle angegebenen übereingestimmt hätten. Diese Äußerung, die zunächst in Anwesenheit des Fabrikbesitzers Theodor Heuß, Mandelstr. 3a, München, gefallen ist, habe ich, ohne Widerspruch zu finden, wiederholt, als mich am Abend desselben Tages Geheimrat Erich Marcks in Begleitung von Professor Valentin besuchte. Es steht also so, dass durch Berliner Emissäre bayerische Publizisten im Sinne solcher handgreiflicher Lügen unterrichtet und in ihrer Stellungnahme beeinflusst werden sollten, dass ihnen aber die Zensur unmöglich macht, gegen diese von Mund zu Mund weitergegebene Verleumdungen der verdientesten Männer einzuschreiten.

Die gleichen Verleumdungen werden, wie ich aus der Korrespondenz, persönlichem Umgang und den Blättern ersehe, von Berlin aus auch an die sozialdemokratische Presse geleitet. Und damit komme ich an eine der gefährlichsten Wirkungen des jetzigen Zensursystems: Systematisch wird die sozialdemokratische Publizistik von Berlin aus in dem Sinne informiert, dass alle Anhänger eines Offensivkrieges gegen England mehr oder weniger Schufte sind.

Sie gibt diese Anschauungen ziemlich unverhüllt und unbehindert an die breiteren Massen weiter, in denen sie immer mehr die Überzeugung hervorruft, dass ein vernünftiger Friede jederzeit möglich wäre, wenn der Reichskanzler nicht durch scharfmacherische Gruppen daran verhindert würde. Dass dies in der Tat der Ansicht des Herrn Reichskanzlers entspricht, weiß ich von dem erwähnten Professor Valentin, der mir die Äußerung des Reichskanzlers mitteilte: „Wenn ich Belgien herausgebe, kann ich jeden Tag Frieden mit England machen.“

Insbesondere in Süddeutschland waren bis zum Kriege vielfache Berührungspunkte gemeinsamer sozialer Arbeit mit Sozialdemokraten vorhanden. Durch das gemeinsame Erlebnis im Anfang des Krieges sind wir diesen Männern nur noch näher gekommen, bis die Reichsregierung diese Arbeiterführer dahin belehrte, dass alles, was im Sinne eines rücksichtslosen Krieges gegen England unternommen werden, in seinen Motiven ausgehe von Gegnern der gegenwärtigen preußischen Politik, in seinen Mitteln auf einer falschen Beurteilung der Kriegslage beruhe und in seiner Wirkung zur Verlängerung des Krieges führen werde. An Stelle der Annäherung, die das gemeinsame nationale Empfinden bei Kriegsausbruch geschaffen hatte, trat weitest gehende Verhetzung.

Da die Ehre aller derjenigen, die eine Verständigung mit England für eine Illusion und daher den Offensivkrieg gegen England für die einzige Rettung des Deutschen Reiches halten, vogelfrei in der deutschen Presse ist (auch die Bayerische Staatszeitung hat sie, wie das die Blätter der Reichsregierung fortwährend tun, kürzlich als Intriganten dargestellt, die unter der Maske des Patriotismus persönliche Zwecke verfolgen) so ist der vorgebliche Zweck der genannten Verfügung, im Auslande keine Uneinigkeit merken zu lassen, nicht glaubwürdig. Vielmehr ist sie offensichtlich nicht gegen die „gegenseitige Befehdung der deutschen Presse und Parteien“ gerichtet, sondern gegen die Anhänger des Offensivkrieges gegen England. Jeder deutsche Publizist weiß, dass die Bestimmung so gemeint ist.

Alle die Männer, die dem deutschen Volke Jahrzehnte hindurch als beste Führer in einem Kriege wie dem gegenwärtigen gegolten haben, wie Großadmiral v. Tirpitz, wie die Admirale Bachmann. Behnke, Pohl, Thomsen, Köster, Graf Zeppelin, sie alle werden täglich von den der Reichsregierung nahestehenden Blättern zum Teil als unwissende Eisenfresser, zum Teil als Schlimmeres hingestellt. Jene Überzahl der führenden Männer des deutschen Wirtschaftslebens, die die Ansichten unserer größten Autoritäten des Seekrieges teilen, werden dem Volke als Leute geschildert, die teuflisch genug sind, ihre Söhne und Brüder weiter zu opfern, um durch eine Verlängerung des Krieges erhöhte Geldgewinne zu erzielen. Und der Publizist, der aus mancherlei Anzeichen eine bevorstehende Hetze erkennen kann, weiß, dass ihr nächstes Opfer Generalstabschef v. Falkenhayn sein wird, weil auch dieser die Illusionspolitik der Reichskanzlei und des Auswärtigen Amtes durchschaut.

Wer an diesem ganzen von Berlin aus geleiteten Lügenfeldzug der m. E., da er gegen Landsleute gerichtet ist, den unserer Feinde an Schamlosigkeit übertrifft, sich beteiligt, darf sicher sein, bezüglich der Zensur, der Nachrichten und mannigfachen anderen Vorteile den Schutz der Reichsregierung zu genießen. Dass, nachdem dem k. Kriegsministerium die Exekutive übertragen ist, eine politische Zensur, deren Grundsätze, wie jeder Publizist weiß, ausschließlich von Berlin ausgegeben werden, die Verantwortung ausschließlich den bayerischen Stellen aufgeladen werden soll, hat Herr Ministerialdirektor Lewald im Reichstag mit aller Deutlichkeit ausgesprochen. Der Reichskanzler stellt sich danach auf den Standpunkt, dass die militärischen Stellen ihm nicht unterstehen und dass er daher für ihre Maßnahmen nicht verantwortlich ist. In der Sitzung des Reichstages vom Donnerstag den 25. Mai 1916 erklärte Herr Ministerialdirektor Lewald vom Reichsamt des Innern:

„Sowohl bei früheren Verhandlungen in diesem hohen Hause wie in der Kommission ist immer wieder gefragt worden, welche Bedeutung den Bestimmungen in §4 Abs. 2 und §17 des Belagerungszustandsgesetzes von 1851 zukäme, und es ist insbesondere daraus, dass es in §4 Abs. 2 heißt: „Die Militärbefehlshaber sind für ihre Anordnungen persönlich verantwortlich“, geschlossen worden, dass damit auch eine Verantwortung des Reichskanzlers begründet wäre. Der Herr Abgeordnete Dittmann hat diese Auffassung wiederholt vertreten und ist vom Herrn Abgeordneten Heine darin unterstützt worden. M. H., ich habe mich wiederholt dagegen ausgesprochen, möchte aber auf diese Frage noch einmal eingehen.

Der §4 Abs. 2 stammt aus dem französischen Gesetz des Jahres 1791. Dieses Gesetz von 1791 führt den Begriff des Belagerungszustandes ein und sagt, dass, wenn ein Waffenplatz oder eine Festung in den Belagerungszustand erklärt wird, dann die gesamte Staatsgewalt, mit der die Zivilbehörden ausgestattet sind, auf den Militärbefehlshaber übergeht, welcher sie ausübt unter seiner persönlichen Verantwortung. Das ist also die Grundlage dieser Bestimmung. Damals gab es eine Verfassung noch nicht, die französische Verfassung ist erst später vereinbart worden. Diese Bestimmung kann also in keiner Weise dafür verwendet und ausgenutzt werden, dass neben der Verantwortung, die ausschließlich der Militärbefehlshaber zu tragen hat, noch eine politische Verantwortung der Minister bestehen soll.

Was heißt diese persönliche Verantwortung? Die persönliche Verantwortung ist einmal die strafrechtliche und zivilrechtliche. Sie bedeutet ferner, dass der Militärbefehlshaber, der die vollziehende Gewalt ausübt, nicht in der Lage ist, diese Verantwortung auf jemand anders zu übertragen, zu delegieren. Das ist der Begriff der persönlichen Verantwortung.

  1. H., wie steht es nun mit dem §17 des Belagerungszustandsgesetzes? Da ist gesagt: „Wenn der Belagerungszustand verhängt ist, so soll der Kammer davon sofort Rechenschaft gegeben werden.“ Das ergibt sich aus dem Zustand, wie er damals bei einer wenig entwickelten Presse bestand. Also wenn an einem bestimmten Orte im Falle eines Aufruhrs der Belagerungszustand erklärt ist, sollte der Kammer davon Mitteilung gemacht werden, und dann ist gesagt, es sollen gleichzeitig Mitteilungen gemacht werden über die einzelnen besonderen Beschränkungen der bürgerlichen Freiheit, den sog. verschärften Belagerungszustand. Nun, m. H., dass der Kriegszustand bei uns erklärt war, hat im Reichsgesetzblatt gestanden, das ist auch sofort hier mitgeteilt worden. Dieses wesentliche Erfordernis des §17 ist also in vollem Umfang erfüllt.

Nun fragt es sich: Wie verhält sich diese persönliche Verantwortung der einzelnen Militärbefehlshaber zu der Verantwortung, die dem Reichskanzler nach Artikel 17 der Reichsverfassung obliegt? Der Artikel 17 der Reichsverfassung spricht sich eng begrenzt aus. Er sagt: Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers werden im Namen des Reiches erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortung übernimmt.

Es unterliegen also nach dem Wortlaut nur Anordnungen und Verfügungen, die gegengezeichnet sind, der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers. Zweifellos hat aber die politische Entwicklung die Auffassung, die alle Reichskanzler von ihrer Stellung gehabt haben, dahin geführt, dass sie die Verantwortung für den ganzen Umkreis der ihnen zufallenden politischen Geschäfte getragen haben. M. M., es ist aber andererseits tief begründet in dem staatsrechtlichen Aufbau des Deutschen Reiches, in dessen Charakter als Bundesstaat, dass für diejenigen Anordnungen, die von den einzelnen Bundesstaaten ausgehen, der Reichskanzler nicht die Verantwortung trägt.“

Aus diesen Darlegungen des Herrn Direktors im Reichsamt des Innern geht deutlich hervor, dass der Reichskanzler weder die persönliche noch die staatsrechtliche Verantwortung für den Vollzug und die Handhabung der Zensur in Bayern übernimmt. Es entsteht also folgender Zustand: Das Pressereferat des bayerischen Kriegsministeriums arbeitet heute ausschließlich nach den Grundsätzen und Richtlinien, die ihm von der Reichskanzlei vorgetragen werden. Wenn heute daraus und aus dem Vollzuge dieser Anordnungen dem Herrn Reichskanzler Vorwürfe gemacht werden, dann erklärt er für den Vollzug und die gesamte Handhabung der Pressezensur in Bayern die bayerische Staatsregierung für allein verantwortlich und erklärt, dass implicite die bayerische Staatsregierung die Verantwortung in dem Augenblick schon übernommen hat, wo sie diese Form der Pressezensur ohne Einwand und Vorstellung zuließ. Es würde also eigentlich nach der Rede des Herrn Dr. Lewald die bayerische Staatsregierung die Kontrolle über den Vollzug der Pressezensur in Bayern unmittelbar eingeführt haben müssen.

In Wirklichkeit sind aber alle nationalgesinnten Publizisten Bayerns überzeugt, dass das k. bayer. Kriegsministerium sehr wohl in der Lage ist, selbst zu entscheiden, welche Veröffentlichungen in gegenwärtiger Kriegszeit als dem vaterländischen Interesse zuwiderlaufend unterbleiben müssen, und daß die Unterordnung des bayerischen Kriegsministeriums unter die Zwecke des Auswärtigen Amtes und der Reichskanzlei der gemeinsamen Sache zum Schaden gereicht.

Da ich die meisten hervorragenden Historiker Deutschlands zu meinen Mitarbeitern zähle, kann ich bezeugen, dass sie fast alle immer mehr verstummen. Behördlich limitierte Begeisterung ist ihnen nicht möglich. Diesen Strom von gutem Willen der nationalen Sache zuzuführen, hat die Reichsregierung nicht verstanden. Sie hat die Nation von ihren geistigen Führern getrennt. Die Ansicht, dass während des Krieges nationale Begeisterung schweigen solle, halte ich für schädlich. Nationale Ideen werden in keiner Zeit so aufgenommen wie in der Kriegszeit. Man darf das Volk nicht als etwas Starres nehmen. Es ist empfänglich für große Ideen, am meisten in großen Zeiten. Das Auswärtige Amt ist hierin anderer Ansicht. Sein Mitarbeiter, Professor Valentin sagte mir bei der erwähnten Unterredung: „Ich glaube an eine persönliche Ehre, aber an keine Volksehre.“ Von diesem Gesichtspunkt war das Auswärtige Amt in den weltgeschichtlichen Entscheidungen dieses Krieges bezüglich seiner Pressebestimmungen geleitet. Ausländische Blätter können ungehindert verbreitet werden und liegen in allen Berliner öffentlichen Lesehallen auf, ohne dass gegen die Verbreitung der größten Schandblätter eingeschritten wird. Wir empfinden es als unwürdig, dass auch hier der Ausländer dem Deutschen in Deutschland vorangeht. Die Haltung der Pressezensur im italienischen Konflikt hat nicht nur die deutsche Presse, sondern auch die Beziehungen zum verbündeten österreichischen Volk aufs Schwerste geschädigt. Die offiziösen Artikel, in denen Österreich ermahnt wurde, Südtirol abzutreten, werden mindestens, so lange die gegenwärtige Generation lebt, in den vaterländischen Kreisen Österreichs nicht vergessen werden. Sie beweisen die kalte Verständnislosigkeit für die Lebensinteressen der österreichischen Monarchie. Jeder von uns in Süddeutschland hätte der Reichsregierung sagen können, dass durch eine solche Pres-sepolitik die verkündete Monarchie aufs Schwerste gefährdet wird. Ebenso wurde es beim Konflikt mit Amerika der deutschen Presse unmöglich gemacht, den Empfindungen des deutschen Volkes Ausdruck zu geben. Die Grundlage aller solchen Maßnahmen bildet eine dilettantische Verkennung des Wesens der Presse, denn sie alle haben den feindlichen Publizisten keinen andern Eindruck gemacht als den der Schwäche und sie in der Überzeugung bestärkt, dass Deutschland am Boden liegt. Anstelle des Hasses, mit dem fast das ganze Ausland uns zu Beginn des Krieges gegenüberstanden, ist die Verachtung getreten.

Ich habe mich für verpflichtet gehalten, meine Bedenken über den gegenwärtigen Zustand der Presse in Bayern rückhaltlos auszusprechen, gerade weil unsere Zeitschrift vollkommen unabhängig und ohne jede Verbindung mit irgendeiner politischen Partei ist. Wir haben Mitarbeiter von den Konservativen bis zu den Sozialdemokraten. Mit keinem der Alldeutschen oder sonst jetzt als Kanzlerstützer bezeichneten Politiker habe ich bis zum Kriege irgendwelche Verbindung gehabt. Aber aus den mir aus allen Kreisen der Bevölkerung zugehenden Mitteilungen zuverlässiger Männer sehe ich, dass wir unter dem gegenwärtigen Zustande der Presse dem Zusammenbruch nach Außen und der Revolution im Innern entgegengehen. Denn unsere ganze Politik ist aufgebaut auf der Illusion der Verständigung mit England. Der mehrfach erwähnte Professor Valentin nicht nur, sondern auch der Wirkliche Legationsrat Riezler bei seinem Aufenthalt letzte Woche in München haben als Überzeugung der Regierung den Zusammenbruch Frankreichs in diesem Herbst und eine daran anschließende Verständigung mit England verkündigt. Wir, die schon aus den Presseverfügungen des Auswärtigen Amtes deutlich gesehen haben, dass während des ganzen Krieges das Auswärtige Amt sich stets der Illusion irgendwelcher Sonderfrieden hingibt, mussten uns jetzt überzeugen, dass auch der gegenwärtige Gedanke einer Verständigung mit unserem mächtigsten Gegner England auf nichts gegründet ist als auf vage Vorstellungen gemeinsamer Kulturinteressen und Dergleichen. Wir halten es für ausgeschlossen, wenn das Volk weiter in solchen Illusionen erhalten wird, diejenige Stimmung wach zu halten, die zu einer siegreichen Durchführung unseres Existenzkampfes erforderlich ist.“

[1] Gescheiterte Existenz

[2] Einschmeichler, heute Umgangssprachlich „Schleimer“

[3] Kontokorrentkredite

[4] Zahlreiche Stöhr-Bauten in München sind heute noch erhalten und dokumentiert (siehe „Liste der Baudenkmäler“). Das Bauunternehmen existiert heute in Familienbesitz (unter dem Namen Südhausbau)

[5] Gruber war auch zwischen 1907 Vorsitzender der extrem rassistischen Gesellschaft für Rassehygiene“, München. „Die politisch stark rechts ausgerichtete Münchner Fraktion (Ortsgruppe München der “Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene”) geriet damit in der Weimarer Republik weitgehend ins politische Abseits; ihre bisherigen Spitzenrepräsentanten, Alfred Ploetz und Max von Gruber, wurden als “Ehrenvorsitzende” der “Gesellschaft” beiseite geschoben.“ (Kulturkritik.net). Der Spiegel vom 29.8.1994 schreibt Gruber folgende Bemerkung von 1923 zum späteren „Führer“ zu: “Gesicht und Kopf schlechte Rasse, Mischling. Niedere, fliehende Stirn, unschöne Nase, breite Backenknochen‘‘ notierte sich 1923 Deutschlands führender Rassenbiologe Max von Gruber, nachdem er Hitler zum ersten Mal begegnet war. Der Gesichtsausdruck des NSDAP-Anführers erwecke, konstatierte der Forscher hellsichtig, den Eindruck “eines wahnwitzig Erregten”.“

[6] Offizier der leichten Kavallerie

[7] Kraepelin forderte (Zitat): »Ein rücksichtsloses Eingreifen gegen die erbliche Minderwertigkeit, das ›Unschädlichmachen‹ der psychopathisch Entarteten mit Einschluss der Sterilisierung« (Zitatende).“ (Dorothea Buck)

[8] Hinweis auf die sog. Kontinentalsperre, die CF hier ursächlich England zuschreibt. Napoleon hatte nach der Seeschlacht von Trafalgar (Niederlage) seine Annexionspläne der britischen Insel aufgegeben. Mit der Kontinentalsperre reagierte Napoleon auf eine vorausgegangene Seeblockade der Briten.

[9] Die „Kriegsschuld“frage beschäftigt die Historiker bis ins 21. Jahrhundert. Einen zusammenfassenden Beitrag dazu und die komplexen Zusammenhänge, die zum Weltkrieg führten, ist das Buch von Christopher Clark, Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, DVA 2012, 978-3-421-04359-7. CF erliegt der einseitigen, kriegspropagandistischen und spezifisch deutschen Sicht der Dinge.

[10] „Alfons Falkner von Sonnenburg (1851-1929) war ein bayerischer Offizier im Rang eines Obersten. Teile seines Lebens arbeitete er im Ausland als militärpolitischer Korrespondent deutscher Tageszeitungen. Sonnenburg wird als ein gebildeter Mann und als ein im politischen Denken geschulter Kopf geschildert. 1914 reaktiviert, wirkte er während des Ersten Weltkrieges als Pressereferent des bayerischen Kriegsministeriums. Obwohl er die preußische Armee wegen ihrer militärischen Qualität bewunderte, wurde er zum aktiven Gegner der von ihm sogenannten »Potsdamerei«, womit er die »gesamte preußische und verpreußte deutsche Weltpolitik« meinte. Nach dem Kriege trat Sonnenburg als pazifistischer Publizist hervor. Zugleich war er einer der militärischen Berater des Universitätsprofessors und Politikers Friedrich Wilhelm Foerster, des vielleicht bedeutendsten Kopfes des zeitgenössischen Pazifismus. 1922 veranlasste er Foerster zur Flucht aus Deutschland, als er von Plänen zu dessen Ermordung erfuhr.“ (Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissneschaft V/1998)

[11] Der Ausschuss wurde wegen Erfolglosigkeit bereits 1916 wieder aufgelöst. Der „Wedelsche Ausschuss“ sollte die Politik Bethmann Hollwegs stützen in dem die wachsende Opposition angesichts des Kriegsverlaufes und des diskutierten „worst case“ also der Niederlage Deutschlands einfangen. Der vollständige Name war „Deutscher Nationalauschuss für einen ehrenvollen Frieden“.

[12] Hier Richtigstellung

[13] Die unterstrichenen Stellen ließen sich im hinterlassenen Skript nicht mehr erkennen.

[14] Es ist anzunehmen, dass es sich um diesen v. Gebsattel handelt. G. war Mitglied des Gesamtvorstandes des Alldeutschen Verbandes. Auf sein Betreiben hin wurde der weiter unten erwähnte Liebig aus dem Alldeutschen Verband ausgeschlossen. Der Ausschlussgrund war eine Notiz in einem Antisemitischen Nachschlagwerk, demnach Liebig Urenkel einer im 18. Jahrhundert konvertierten Jüdin war.

[15] Nachfolger der MNN ist die „Süddeutsche Zeitung“, (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/M%C3%BCnchner_Neueste_Nachrichten).

[16] Lat. „Nur frech verleumdet, irgendwas bleibt immer hängen“.

[17] Den Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz in München gibt es heute noch. Denkmalgeschütztes Gebäude. Siehe https://www.loewenbraeukeller.com/ und zur Geschichte (politischer Versammlungen) https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%B6wenbr%C3%A4ukeller#Geschichte