NSU 2.0 Drohbriefschreiber verhaftet, aber bitte nicht übermütig werden

18.5.2021, Hessen

Am 4.5.21 wird in nahezu allen Medien bekannt gegeben, ein Alexander M. aus Berlin, einschlägige Straftaten waren bekannt und werden ebenfalls berichtet, wurde unter dem Verdacht festgenommen, der Nazi-Drohbriefverfasser zu sein. Mehr als 100 widerwärtige Drohungen, u.a. die Ermordung eines Kindes soll er seit 2018 versandt haben. Sein Computer konnte sichergestellt werden und der war noch online. Das lässt auf ergiebige Auswertung hoffen.[1] Dieser Erfolg soll hier nicht geschmälert werden.

Der Fahndungsbeginn zwischen 2018 und Mitte 2020 war holprig. Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium waren scheinbar überwiegend damit beschäftigt, den früh aufkommenden Verdacht zu zerstreuen, es handle sich um ein Täternetzwerk in Hessen. [2] Auch die sattsam bekannte These, es handle sich bei den Opfern der Nazi-Drohschreiben um, bedauerlich zwar, aber eben einzelne bedrohte Personen, wurde bemüht. Überhaupt sei der Täter schwer zu ermitteln. Man ging, wie üblich, von einem Einzeltäter aus. Innenminister Beuth war, bis vor kurzem, strammer Anhänger der „Einzeltäterthese“ und ist ebenso Anhänger der These, „Links“ sei gleich „Rechts“. Das ist schon bei bloßem Augenschein Unfug. Die These vom „Hufeisen“ ist schon lange widerlegt und gerät immer mehr zum Bumerang für deren Verfechter.[3]

Nachdem schnell und im Zuge der Ermittlungen der Verdacht aufkam, die Daten der Opfer stammten aus Polizeirevieren in Frankfurt, Wiesbaden, Hamburg und Berlin wurden Ermittlungen aufgenommen. Jedoch waren diese von öffentlich geäußertem Unmut aus Polizei und Innenministerium begleitet. Zwar ließ sich nicht von der Hand weisen, dass es mindestens ein Netzwerk von NS-affinen Polizist*innen gab und später stellte sich heraus, dass Daten ausgerechnet von einem Computer in einem Polizeirevier stammte, dessen „Verwalterin“ sich in einer Chatgruppe bewegte, die sich im „Nazi-Sprech“ übte. Aber man empörte sich vorzugsweise und vernehmlich darüber, dass „die ganze Polizei“, also 17.000 Beamt*innen in Hessen, unter „Generalverdacht“ gestellt würde. Dieser Vorwurf an die Adresse der Opfer, der besorgten Bürger*innen, einiger Medien, und ja, auch an kritische Polizeisangehörige, ist wohlfeil, wird nahezu regelmäßig und ausgiebig dann vorgetragen, wenn es um rechte Taten aller Art geht. Der Vorwurf ist so absurd, dass man darüber lachen sollte.[4] Das aber geht nicht. Dazu ist die Sache zu ernst. Der Gebrauch dieses Vorwurfs durch Vertreter*innen der Landesregierung, Vertreter der Polizeiführung, darunter auch der „Gewerkschaft der Polizei“, begünstigt die Bildung von Negativkoalitionen. Ein Interview mit dem Frankfurter Polizisten Martin Kirsch gibt Einblick:

Frage:
„Mehrere Personen des öffentlichen Lebens erhalten derzeit »NSU 2.0«-Drohbriefe, gespickt mit internem Behördenwissen. Selbst Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) will ein rechtes Netzwerk in der Polizei nicht mehr ausschließen. Wie wird das Thema unter Beamten diskutiert?
Martin Kirsch:
Die Kollegen, die ich kenne, regen sich darüber auf, was da für eine Scheiße passiert. Ich kenne auch keinen Polizisten, der diese Drohbriefe gutheißen oder tolerieren würde. Bezüglich der Berichterstattung gilt: Je undifferenzierter die Beiträge, desto größer die Wagenburgmentalität.“[5]

So, wie Nazisympathisanten unter Polizeiangehörigen eine Minderheit sind, so ist es auch eine Minderheit, welche „die Polizei“ unter Generalverdacht stellt. Dennoch verdient eine Nazi-Minderheit und rechtes Gedankengut unter Beamt*innen höchste Aufmerksamkeit. Die Gefährlichkeit solcher Verfassungsfeinde in Uniform ergibt sich aus der gesellschaftlichen Stellung von Polizist*innen, Staatsanwält*innen und so weiter. Es ist anzunehmen, dass die überwältigende Mehrheit der Beamt*innen diese Ansicht teilt. Empfehlenswert ist also, sich um das eigentliche Übel zu kümmern, statt Zeit damit zu verschwenden, sich unnötigerweise in die Schmollecke zu begeben. Es lohnt sich Übrigens, das ganze Interview mit Martin Kirsch (s. Anm. 2), zu lesen.

Erst im Juli 2020 verabschiedet sich Innenminister Peter Beuth (CDU) endlich von der Einzeltäter-These und schloss nicht mehr aus, dass es ein rechtsradikales Netzwerk innerhalb der hessischen Polizei geben könnte. Er setzte einen Sonderermittler ein.[6]  Einen Sonderermittler, von dem zum Beispiel Martin Kirsch, wohlbegründet annimmt, dass sein Erfolg voraussichtlich nicht überwältigend sein könne (s. Interview Anm.4, Interview ND).

Zuvor ermordete ein Nazi, der dem Verfassungsschutz und der Polizei bekannte Stephan Ernst, in Kassel den Politiker Walter Lübcke (CDU, 1. Juni 2019) und der Nazi Tobias Rathjens ermordete eine Hanauer Bürgerin und acht Hanauer Bürger, weil er sie in seinem Rassenwahn für „Fremde“ hielt, sowie seine Mutter (19.2.2020). Erst nach dem Mord an dem Politiker Walter Lübcke setzte der Innenminister eine polizeiliche Sonderkommission aus 140 Ermittlern ein. In Zusammenarbeit mit Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft sollten nun nach Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, die hessische Gemütsruhe gegen rechtsradikale Umtriebe, ein Ende haben. Diese Sonderkommission konnte das Attentat von Hanau leider nicht mehr verhindern.[7]

Ohne künftigen Ergebnissen einer notwendigen Untersuchung der Geschichte vorgreifen zu wollen, sieht es ganz danach aus, dass der Herr Innenminister den Ernst der Lage erst sehr spät erkannt hat. Nach der Bedrohung von 32 Personen und 60 Institutionen mittels 133 verschickter Drohschreiben und elf Nazi Morden in Hessen kamen die Ermittlungen ab Mitte 2020 besser in Schwung und einige Erfolge hinsichtlich der Auflösung von Nazi-Netzwerken können verzeichnet werden.

So berichtet etwa FFH am 14.5.21 von einer Razzia bei einem Nazi-Soldaten im Hessischen Glashütten. Die Polizei fand Waffen und auf dem Mobile Verbindungen zu weiteren Nazis. Der Mann (21 Jahre jung), hatte vermutlich einen Anschlag geplant.[8]

Am 26.2.21 berichtet der Sender mdr von einer Razzia gegen Mitglieder der Nazi-Bruderschaften Turonen und Garde 20. Sollten die daraus gewonnenen Erkenntnisse ausreichen, wäre die Auflösung zweier, in jeder Hinsicht krimineller, Organisationen gelungen. „Nach Angaben des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) wurden 27 Wohn- und Geschäftsräume in Gotha, im Landkreis Gotha, in Bad Langensalza, im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, in Sachsen-Anhalt und in Hessen durchsucht. 23 Durchsuchungen seien am Freitag abgeschlossen worden, vier sollten am Sonnabend beendet werden.“ Welchen Anteil hatte Hessen am Erfolg?[9]

Ein pikantes Detail am Rande: „In Hessen stürmte die Polizei eine Anwaltskanzlei. Laut Informationen von demo.report soll es sich bei der durchsuchten Person um den rechten Szene-Anwalt Dirk Waldschmidt handeln. Waldschmidt, ehemals stellvertretender Vorsitzender der NPD Hessen, vertrat bereits zeitweise den Mörder Walter Lübckes, sowie den Saalfelder Neonazi und Hooligan Felix R. vor Gericht. Mitglieder der „Garde 20“/„Turonen“ unterstützten R. damals während des Prozesses und erschienen regelmäßig zu den Verhandlungen. Auch der Zeuge im NSU-Prozess Andre K., der im „Thüringer Heimatschutz” aktiv war, wurde von Waldschmidt betreut.“[10]

Am 17.9.20 berichtet die Hessenschau von mehreren Wohnungsdurchsuchungen in verschiedenen hessischen Regionen, bei denen Nazidevotionalien und Waffen gefunden wurden. Es seien „sechs Wohnungen von Personen durchsucht worden, “die zuvor bereits im Bereich der politisch motivierten Kriminalität ‚Rechts‘ aufgefallen waren”, berichtete das Innenministerium am Donnerstag in Wiesbaden. Die Polizei stellte neben Beweismaterial und diversen Datenträgern auch Betäubungsmittel sicher.“[11]

Matthias Drobinski und Florian Flade fassen in der Süddeutschen Zeitung im Juli 2020 die deutlich gesteigerten Aktivitäten des LKA Wiesbaden und das verstärkte Engagement der Sicherheitsbehörden in einem Artikel ab Mitte 2019 zusammen.[12]

Es hat sich seither noch mehr getan, aber das mag, Beispiel gebend, erst einmal genügen.
Der Münchner Merkur vom 18.5. zitiert der Innenminister mit den Worten: „Nach allem, was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die, NSU 2.0‘-Drohmailserie verantwortlich.“ Wir hoffen mit.

Ob der Herr Innenminister, nach dieser in dürren Worten formulierten, Selbstberuhigung künftig anlässlich von Nazi-Taten in Hessen und Nazi-Chatgruppen unter Beamten, nicht wieder in Dornröschenschlaf verfällt, ist nicht absehbar. Letztere sind ja nun, nach den unter Druck veranlassten Ermittlungen, sozusagen als Beifang, ins Ermittlernetz gegangen, konnten aber vorher geraume Weile ungestört ihr Wesen treiben. Wir hoffen ferner für den Herrn Minister, dass im Zuge der Ermittlungen sich seine Worte nicht noch als prophetisch erweisen, denn es wird irgendwann rauskommen, „was er alles nicht weiß“.

Wir hoffen ferner auf die Hessische Staatsanwaltschaft, die angekündigt hat, „dass die Ermittlungen fortgeführt würden. Tatsächlich gebe es weiter offene Fragen. Darunter die, wie der 53-Jährige an die Adressdaten seiner Opfer kam und ob er Helfer hatte. „Wir sind nicht am Ende.“[13]

update
22.5.21 Die SZ vom 22.5.21 kommentiert den Fall des Bundeswehrsoldaten Franco A., der einen besonders heimtückischen rechtsradikalen Anschlag plante (verkleidet als syrischer Flüchtling wollte er Politiker ermorden): “Nur die Justiz zeigte sich seltsam unberührt. Nachdem die Bundesanwaltschaft noch im selben Jahr Terroranklage beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt erhob, lehnte dieses Gericht es ab, die Anklage gegen Franco A. zuzulassen. Begründung: Er sei nicht fest dazu entschlossen gewesen, weil er sechs Monate lang nicht zugeschlagen habe.” und “Vier Jahre hat es gedauert, bis nun gegen Franco A. doch noch verhandelt wird – erst der Bundesgerichtshof hat nach einer Beschwerde der Bundesanwaltschaft den Prozess erzwungen.”
siehe auch SZ online.
22.5.21 Neuer Drohbrief des ‚NSU 2.0‘ gegen die hessische SPD-Chefin Nancy Faeser.[14]

8.5.21 Landespolizeipräsident Roland Ullmann hatte mit Innenminister Peter Beuths Unterstützung bisher abgelehnt, für die Aufwendungen zum Schutz der Rechtanwältin Basay-Yildiz und ihrer Wohnung aufzukommen, da ein „Bezug zwischen den Abfragen und den Drohungen nach jetzigem Stand nicht gegeben sei und daher kein Amtshaftungsanspruch bestehe.“ Nun sagte Beuth, es könne „in bestimmten Einzelfällen“ trotzdem finanzielle Unterstützung geben.[15]

Anmerkungen

[1] Siehe dazu Hessenschau vom 4.5.21, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/festnahme-in-berlin-wie-die-ermittler-dem-nsu-20-auf-die-spur-kamen,nsu-drohschreiber-gefasst-100.html , vom 5.5.21 https://www.hessenschau.de/gesellschaft/nsu-20-festnahme-verdacht-gegen-mutmasslichen-drohbrief-schreiber-erhaertet,details-festnahme-nsu-100.html und taz vom 5.5.21 https://taz.de/Festnahme-im-NSU-20-Fall/!5770359/

[2] Tagesschau v. 4.5.21, Festnahme im Fall NSU 2.0 https://www.tagesschau.de/inland/nsu-2-0-drohschreiben-festnahme-101.html

[3] Ein guter Einstieg in das Thema findet sich bei ZDF vom 14.2.20, Katharina Meyer https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hufeisentheorie-hufeisenschema-rechtsextremismus-afd-linke-thueringen-102.html

[4] Der Vorwurf des „Generalverdachts gegen die Polizei“ wird nicht verwendet, wenn schwache Aufklärungsraten bei anderen Delikten diskutiert und kritisiert werden. Das scheint eine sehr spezielle Abwehrstrategie zu sein, wenn es um Nazis und andere Rechte Straftaten geht.

[5] Neues Deutschland v. 17.7.20, Wer nicht passt, wird ausgegrenzt, Interviewer Thomas Bähr, Frankfurter Polizist Martin Kirsch zum NSU 2.0 und rechten Netzwerken unter Beamten https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139309.nsu-wer-nicht-passt-wird-ausgegrenzt.html

[6] SZ v. 4.5.21, Mit einem Fax fing alles an (eine Chronologie), https://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-2-0-verhaftung-chronologie-1.5284173

[7] Die Umstände und die besondere Rolle des Innenministers Peter Beuth hinsichtlich der Ermittlungen in Hanau haben den Hanauer Bürgermeister seinerzeit bewogen, den Rücktritt zu fordern. https://www.hessenschau.de/politik/hanaus-oberbuergermeister-fordert-beuth-zum-ruecktritt-auf,hanau-anschlag-kaminsky-beuth-100.html

[8] FFH v. 14.5.21, https://www.ffh.de/nachrichten/hessen/rhein-main/269653-rechtsextreme-bundeswehrgruppe-razzia-in-hessen.html

[9] mdr v. 26.2.21 https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/razzia-neonazi-netzwerk-drogenhandel-turonen-garde-bruderschaft-100.html

[10] Demo.repot v. 26.2.21 https://demoreport.de/razzien-in-neonazi-gruppierung-npd-anwalt-in-hessen-unter-beschuldigten/

[11] Hessenschau v. 17.9.20, https://www.hessenschau.de/panorama/mehrere-wohnungsdurchsuchungen-in-rechtsextremer-szene-,durchsuchungen-rechte-szene-100.html

[12] Siehe dazu SZ vom 10.7.2020 https://www.sueddeutsche.de/politik/polizei-hessen-rechts-1.4963411

[13] Albrecht Scheiber, zitiert nach taz vom 5.5.21 https://taz.de/Festnahme-im-NSU-20-Fall/!5770359/

[14] Mdr vom 22.5.21 https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/drohbrief-nsu-hessen-100.html

[15] Frankfurter Rundschau vom 8.5.21 https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/nsu-drohbriefe-verdaechtiger-berlin-beuth-basay-yildiz-90504632.html

 

Ein Gedanke zu “NSU 2.0 Drohbriefschreiber verhaftet, aber bitte nicht übermütig werden

  1. Das ist auch ein Beispiel dafür warum eine immer weiter gehende Überwachung des Internets wie Sie die Regierung voran treibt sehr gefährlich ist. Wenn Polizisten in Zukunft bald auf alle Chats, Mails und sonstiges ohne Gerichtsbeschluss zugreifen können usw. Vorratsdatenspeicherungsdaten und so….. Da sind ja wieder viele neue Gesetze in der Mache.

    Da werden die Nazi Zellen wohl in Zukunft noch viel mehr Daten und Infos über Antifaschisten erhalten…. als nur Adressen und Telefonnummern !

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